Im Nachlass des 1994 verstorbenen Münchener Philosophieprofessors Max Müller befindet sich eine mit „Martin Heidegger“ bezeichnete Mappe. Sie enthält unter anderem einen großen Teil von Müllers Briefwechsel mit seinem Lehrer Martin Heidegger. Dieser ist nun zusammen mit Briefen Heideggers an Müller und anderen Dokumenten veröffentlicht worden:
Heidegger, Martin: Briefe an Max Müller und andere Dokumente. Herausgegeben von Holger Zaborowski und Anton Bösl. 196 S., Ln., € 40.—, 2003, Karl Alber, Freiburg.
Der Briefwechsel beginnt 1930. Heidegger berät Müller hinsichtlich seiner akademischen Karriere. Danach herrscht bis 1947 Stillschweigen: Heidegger hatte als Rektor der Freiburger Universität Müller als Leiter der Fachschaften der philosophischen Fakultäten einer regimekritischen Äußerung wegen abgesetzt. Ende des Sommersemester 1933 wegen einer regimekritischen Äußerung in dessen Funktion als Leiter der Fachschaften der philosophischen Fakultäten abgesetzt. 1947 besucht Müller aber zusammen mit dem Theologen Gerhard Welte Heidegger in seiner Hütte in Todtnauberg. Danach schreibt er begeistert an Heidegger: Es sei ihm nun wieder klar geworden, von welch einfach schlichter Tiefe Heideggers Denken sei. Es sei ein Versuch, „der das Schwerste von allem ist“, schlicht und einfach „die Wahrheit des Seins (und nicht des Seienden) zu denken“ bzw. das Sein in seiner Wahrheit sich selbst in uns denken zu lassen. Es sei ihm jetzt in aller Schärfe bewusst geworden, dass erst Heidegger die „ontologische Differenz“ entdeckt habe - und dies, obwohl in jeder großen Philosophie der Unterschied zwischen Sein und Seiendem aufbreche. Nie sei dort das Sein aber als es selbst genommen, immer habe es seinen Ort irgendwo anders, während es doch eigentlich selbst der Ort alles anderen ist. Das Sein könne weder als Subjekt noch als Objekt begriffen werden, sondern nur als reiner entspringen lassender Ursprung vor der Entgegensetzung Subjekt-Objekt. Nie entspringt Sein dem Geist, sondern nur Geist dem Sein als dessen Lichtung.
Er, Müller, sehe nun immer mehr, wie Heidegger der Seins-Denker sei und infolgedessen jeder Richtung spotten müsse, am mei sten jedoch der des sogenannten Existentialismus. Denn der Begriff Ek-sistenz besage doch im Grunde, dass der Mensch als Mensch nichts sei, wenn nicht die Geburt der Wahrheit des Seins als solcher. Deshalb sei es widersinnig, was man auf dem 1. Deutschen Kongress für Philosophie über Heidegger gesagt habe: „Sie sind ein ganz anderer als die Welt meint; kein Philosophieprofessor, vielleicht auch kein Philosoph, weil das alles zu wenig ist, sondern Weiser und Verkünder, Stimme und Werkzeug des Seins selbst“.
Müllers religiös motiviertes Interesse an Heideggers Philosophie zeigt sich auch, wenn er bemerkt, Heideggers Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Theologie, die nebeneinander gehen, ohne sich zu vermischen, habe ihn nicht ganz befriedigt: „Es gibt ein Gespräch zwischen beiden, dem Theologen und dem Philoso phen, und wie steht es um die Sprache dieses Gesprächs?“ Müller gibt die Antwort gleich selbst: „Sie ist nur dort möglich, wo eine existentielle Identität in uns selbst zwischen homo religiosus und philosophicus da ist“. Damit ist er bei einer für ihn existentiellen Frage: „Ist man das eine oder das andere? Nicht das eine und das andere?“ Für ihn als religiösen Menschen ist aber die ungeheure Bedeutung der Seinsfrage offenbar: „Wo das Sein sich nicht erhellt, wo das Seiende herrscht, kann der Gott nicht sprechen und sich offenbaren“. Heidegger antwortet nur kurz, dankt für den Besuch und geht auf die Fragen nur am Rande ein: „Was Sie von der ontologischen Differenz sagen, trifft. Darum spreche ich möglichst wenig davon. Die Gefahr, fehl zu denken, ist hier besonders groß“.
Die darauf folgenden Briefe sind nur mehr sachlicher Art, es geht um das Einerlei des Alltags, um die Übermittlung von Schriften, um die Planung von Besuchen, um Vorträge usw. 1950 setzt sich Müller (vergeblich) dafür ein, dass Heidegger auf seinen Lehrstuhl zurückkehren kann - Heidegger weiß das zu schätzen. Bis 1964, als Müller nach München berufen wird, finden sich praktisch nur Briefe Heideggers (es ist übrigens nicht klar, ob im Band alle erhaltenen Briefe abgedruckt sind, im Nachwort heißt es lediglich, der Band „dokumentiere“ den Briefwechsel) und darin werden keine eigentlich philosophischen Fragen behandelt. 1964 berichtet Müller von seinen publizistischen Plänen, gleichzeitig mokiert er sich über „das dumme Frankfurter Asphaltgerede des Herrn Wiesengrund-Adorno, der sie neulich im Münchener Merkur aus dem deutschen Kleinbürgertum.... erklären wollte“. Heidegger antwortet, er sei ununterbrochen an der Arbeit und leider nicht in der Lage, die Schriften anderer in gebührender Weise zu studieren, aber er freue sich über Müllers Erfolg.
Einladungen - zu Kongressen und ins Fernsehen - lehnt Heidegger ab, bedankt sich aber, dass sich Müller für ihn so einsetzt, um dann zu klagen: „Das Totschweigen und Übergehen ist doch System und gesteuert… Wenn mein Denken die verschiedenartigen und doch gleich gestimmten Machenschaften seit 1933 nicht überdauert, taugt es auch nichts, und kein Fernsehen kann hier nachhelfen.“ Der Briefwechsel dauert bis 1974 und endet mit einem Gedicht Heideggers.
Neben dem Briefwechsel enthält das Buch Heideggers Gutachten zur Habilitation Max Müllers, ein Brief Müllers an P. Alois Naber zur philosophischen Entwicklung Heideggers, einzelne Texte Müllers zu Heidegger sowie das 1985 von Bernd Martin und Gottfried Schramm geführte Gespräch mit Max Müller über Heidegger.
Quelle: Diese Rezension erschien unter www.information-philosophie.de (Editiert)
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