Martin Heidegger (1889 - 1976) war ein deutscher Philosoph, der vor allem für seine Beiträge zur Phänomenologie, zur Hermeneutik und zum Existenzialismus bekannt ist. Sein Werk deckt ein breites Spektrum von Themen ab, darunter Ontologie, Metaphysik, Technik, Kunst, Humanismus, Sprache und Geschichte der Philosophie. Er wird häufig zu den wichtigsten und einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts gezählt, insbesondere in der kontinentalen Tradition.
Im April 1933 wurde Heidegger zum Rektor der Universität Freiburg gewählt und geriet während seiner Amtszeit (er trat im April 1934 von dem Posten zurück), wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP und Unterstützung des Nationalsozialismus in die Kritik.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er aus Freiburg entlassen und erhielt nach den Entnazifizierungsverhandlungen in Freiburg ein Lehrverbot. Die Beziehung zwischen seiner Philosophie und dem Nationalsozialismus ist umstritten.
In Heideggers erstem Hauptwerk, "Sein und Zeit" (1927), wird "Dasein" als Begriff für die Art des Seins eingeführt, die der Mensch besitzt. Heidegger ging davon aus, dass das Dasein bereits ein "vorontologisches" und konkretes Verständnis hat, das sein Leben prägt und das er im Hinblick auf die einheitliche Struktur des "In-der-Welt-Seins" analysierte. Heidegger nutzte diese Analyse, um sich der Frage nach dem Sinn des Seins zu nähern, d.h. der Frage, wie Entitäten als die spezifischen Entitäten erscheinen, die sie sind. Mit anderen Worten: Heideggers leitende "Seinsfrage" befasst sich mit dem, was die Wesen als Wesen verständlich macht.
Heimat
Neue Funde zeigen den Studenten Heidegger als eifrigen Verteidiger der wahren katholischen Lehre
Heimat spielt in Heideggers Denken eine kaum zu unterschätzende Rolle. Insbesondere seine Herkunft aus dem Donaugebiet (und nicht, wie viele ortsunkundige Interpreten annehmen, aus dem Schwarzwald) hat den Philosophen geprägt.
Alfred Denker, der an einer großangelegten Heidegger-Biographie arbeitet, hat zusammen mit Elsbeth Büchin Dokumente zusammengetragen, die Heideggers Beziehung zur Heimatstadt Meßkirch aufzeigen. Anhand einer Geschichte seiner Vorfahren, von Zeitungsberichten, bisher unbekannten früheren Veröffentlichungen und persönlichen Erinnerungen und mit einer Vielzahl unbekannter Photos vor allem des jungen Heidegger, aber auch von Meßkirch und Umgebung, dokumentiert er Heideggers Verwurzelung in seiner Heimat:
Martin Heidegger und seine Heimat. Verfasst und herausgegeben von Alfred Denker und Elsbeth Büchin. 266 S., Ln., € 23.—, 2005, Klett-Cotta, Stuttgart.
Heidegger schrieb sich im Wintersemester 1909 an der Universität Freiburg ein und begann Theologie zu studieren. 1911 fand zwischen den beiden lokalen Konkurrenzblättern „Heuberger Volksblatt“ und „Oberbadischer Grenzboten“ im Rahmen des Kulturkampfes zwischen Liberalismus und katholischem Konservatismus („Ultramontanismus“) eine heftige Fehde über die Wissenschaftlichkeit der Philosophie der Jesuiten statt. Denker hat nun den rechthaberischen Vertreter des Katholizismus, der in der Kontroverse anonym schreibt, überzeugend als Martin Heidegger identifizieren können.
Heidegger greift unter dem Pseudonym - gg - am 7. April 1911 in die Kontroverse ein, um „durch Kritik des genannten Artikels den Weg zu weisen zur objektiven Beurteilung der in Frage stehenden Tatbestände“. Er fährt fort, die negative „Beurteilung der wissenschaftlichen Leistung von Jesuiten usw. wird anders lauten müssen, sobald es sich um Fragen von allgemein philosophischer Bedeutung dreht“. Denn davon verstehe der Artikelverfasser gar nichts und übertrete damit „das erste Gebot allen Wissenschaftsbetriebes: Sprich und schreibe nie über eine Sache, die du nicht verstehst. Ich möchte dem Verfasser den aufrichtigen, wohlgemeinten Rat geben, in philosophischen Fragen fein still zu sein, er könnte sonst noch in ungeahnte Verlegenheit geraten“.
Der Gegner Heideggers hatte behauptet, die Jesuiten seien (insbesondere durch den Antimodernisteneid) an ihre Dogmen gebunden, und dies widerspreche dem Geist der Wissenschaft. Heidegger moniert, hier werde Freiheit der Forschung mit Lehrfreiheit verwechselt. Die Kirche habe die Pflicht zu verlangen, „dass die höchsten Güter des Menschen nicht von jedermann in Reden und Schriften frei und ungehindert entwürdigt, verspottet und verhöhnt werden können“. Insbesondere müsse die Kirche als „die Hüterin der Wahrheit die Anschauung verwerfen, alle Religionen sind gleich wahr; es gibt eben nur eine Wahrheit“. Andersgläubigen dürfe höchsten im Rahmen der bürgerlichen Toleranz und zur Vermeidung größerer Übel Religionsfreiheit gewährt werden. Erwiesen sei es, dass die katholische Kirche den Auftrag habe, „die Glaubenslehre, d.i. göttliche ewige Wahrheit, unverfälscht zu bewahren und zu verkünden“. Deshalb sei es für jeden klar, „dass ein angebliches Resultat wissenschaftlicher Forschung, das der Glaubenslehre, der ewigen Wahrheit widerspricht, nicht auch wahr sein kann. Und der Beweis für die Göttlichkeit der Offenbarung der Kirche ist in jeder Apologetik zu finden“. Heidegger verweist dabei gleich auf eine solche Apologetik, nämlich auf S. Weber, Christliche Apologetik, 1907. Bislang, so Heidegger, habe sich die Kirche im Laufe ihrer Geschichte nur ein einziges Mal geirrt, nämlich im Galileifall, und das beweise die Wahrheit ihrer Lehren.
Nun ging ein Rätselreden los, wer denn dieser -gg-, der Verfasser dieser Widerlegung des Liberalismus sei. Erst vermutete man einen Professor Dr. Buri, dann einen Lehramtspraktikanten Bury, aber beide Male wurde widersprochen. Das „Heuberger Volksblatt“ stiftete gar einen Preis, bestehend aus drei Glas Bier, einer Batzenwurst und dem nötigen Senf, für den, der den Namen des Autors herausfindet. Heidegger lüftete sein Inkognito im Rahmen der Kontroverse insofern, als er bekannte, er sei Student im 4. Semester, aber dennoch kam niemand auf seinen Namen.
Heidegger hatte auch enge Beziehungen zum ganz in der Nähe gelegenen Benediktinerkloster Beuron. Als Bub ging er öfters mit seiner Mutter den Wallfahrtsweg dahin. Schon als Gymnasiast, dann als Student und als Habilitand benutzte er des öfteren die dortige Bibliothek. Während seines Aufenthalts in Beuron nahm er am Klosterleben teil und folgte auch ihrem strengen Lebensrhythmus. 1930 weilte er gar zwei Wochen im Kloster. Dabei entwickelte sich eine lebenslange freundschaftliche Beziehung zu P. Anselm Manser OSB (1876 – 1951). 1931 durfte Heidegger bei den Mönchen zwei Vorträge halten, einen über Augustin und einen über Platons Höhlengleichnis. Die Mönche wurden aber deswegen von der Ordensleitung getadelt, und Heidegger war darob so enttäuscht, dass er bis 1949 dem Kloster fernblieb.
Der Student Heidegger hat in Meßkirch gelegentlich Vorträge gehalten, über die die dortige Tageszeitung berichtete. 1911 sprach er etwa über Modernismus, die Abstammung des Menschen oder über Nietzsche. Dabei bezeichnete er „die Bücher von Nietzsche als Gift für die Jugend, einzig und allein dazu angetan, dieselbe unserem Herrgott zu entfremden“. Heidegger wurde in der Lokalpresse über alles gelobt: Von dem jungen Studenten „darf ohne Übertreibung gesagt werden, dass er zu den schönsten Hoffnungen berechtigt“. Heidegger behandelte in einem der Vorträge auch die Frage, ob Tiere denken könnten. Dabei kam er zu dem Schluss, das Verhalten der Ameisen lege die Annahme einer Denktätigkeit eher nahe als dasjenige der Affen. Auch Darwins Evolutionslehre bekämpfte Heidegger mit Vehemenz.
Auseinandersetzung mit Heidegger
Er habe zwar, so berichtet Günther Anders, bei Heidegger studiert, persönlich habe er ihn aber kaum gekannt. Einmal habe er in Marburg bei Heideggers übernachtet. Nach einem einfachen Nudel-Nachtessen ließ sich die Unterhaltung zu Beginn gut an. Anders zitierte, ohne den Autor zu nennen, Voltaire: „Es genügt nicht zu schreien, man muss auch Unrecht haben“, ein Zitat, das sogar Heidegger, den Humorlosen, amüsierte. Als Anders nun erklärte, das Zitat stamme von Voltaire, machte er allerdings ein schiefes Gesicht. Der Abend war aber dann vollends verdorben, als Anders fortfuhr, natürlich gelte ganz symmetrisch auch das Wort: „Es genügt nicht zu murmeln, man muss auch recht haben“. Während Frau Heidegger nichts verstand, blickte Martin Heidegger Anders einen Moment lang hasserfüllt an. War es doch seine Taktik, durch nahezu unhörbares Murmeln eine totale Stille im Saal zu erzwingen und dadurch den Hörern einzureden, dass alles, was sie mindestens akustisch mitkriegten, auch „unverborgen“, d. h. die Wahrheit sein müsste.
Günther Anders, der Hannah Arendt nach dem Ende ihrer Affäre mit Heidegger geheiratet hatte (sie schrieb an Heidegger: „ich ... habe dann später geheiratet, irgendwie ganz gleich wen, ohne zu lieben“), hat sich immer wieder mit Heidegger auseinandergesetzt. Gerhard Oberschlick hat die entsprechenden Texte (sowohl die publizierten Texte wie auch die Nachlassschriften) herausgegeben:
Günther Anders: Über Heidegger. Herausgegeben von Gerhard Oberschlick in Verbindung mit Werner Reimann als Übersetzer. Mit einem Nachwort von Dieter Thomä. 488 S., Ln., 2001, € 34.90, C.H. Beck, München.
Nihilismus und Existenz (1946)
Was nicht in Heideggers Philosophie einging, war die Tatsache der Industrialisierung, der Demokratie, der Weite der heutigen Welt, der Arbeiterbewegung - denn Heidegger ist provinzieller Mittelständler. Was dagegen zusätzlich dem Ganzen seine eigentümliche Düsterkeit und Feierlichkeit verleiht, ist Heideggers Herkunft aus der katholischen Theologie, die seiner atheistischen Lehre die Farbe einer Religion gibt.
Heideggers Ontologie ist verbrämte Askesetechnik. Es ist ein Weg der Rechtfertigung und Erlösung, aber der Erlösung ohne Gott, in der Erlöser und Erlöster identisch sind: beide sind „Dasein“, denn Heidegger hat keinen Gott neben ihm. Es ist ein furchtbarer Weg ins Nichts: denn was den „Eigentlichen“ ganz eigentlich und ganz vereinzelt macht, ist das schlechthin Unvertretbare: der Tod, oder richtiger: das Sterben. Das Sterben wird der Leitstern des Lebens, und das Dasein ein „Sein zum Tode“.
Der Heideggersche Nihilismus entsteht in der Situation des vollkommenen Verfalls des deutschen Kleinbürgertums nach dem Ersten Weltkrieg. Aus dem Nichts angekommen, findet sich der kleine Mann in dem anonymen, mit Meinung, Geschwätz, Unfreiheit und unrealisierbaren Maximen erfüllten Brei des „man“ und will heraus. Woher freilich die als „man“ bezeichnete Masse kommt. welche Produktionsweisen die Masse mitproduziert haben, welche Eigentumsverhältnisse es mit verursacht haben - das alles fragt Heidegger nicht. Der kleine Mann befreit sich, indem er in das Gefängnis seiner eigenen Existenz hineinrennt. Das also ist aus den großen Idealen der Freiheit und der Autonomie am Vorabend der Zerstörung der bürgerlichen Freiheiten durch Hitler geworden. Was früher handelndes Subjekt gewesen war, verzichtet nun auf Aktion, auf Gleichheit und Rechte der Personen, wirft stattdessen seine ganze Energie leidenschaftlich in die Innerlichkeit.
Gibt es eine Gleichschaltung auch zwischen der Philosophie des Nationalsozialismus und der Philosophie Heideggers? Anders glaubt wohl. Beide treffen sich im anti-demokratischen Affekt, der in beiden Fällen nicht der aus der Geschichte bekannte Aristokraten-Affekt ist, sondern der Emporkömmlings-Affekt. Seine theoretische Untermauerung für diesen Affekt holte sich Heidegger bei Platon: seine Unterscheidung zwischen dem verachteten „man“ und dem „Selbst“ ist die über das Theoretische hinaus erweiterte platonische Unterscheidung zwischen Doxa und Episteme. Jene platonischen Dialoge, die Heidegger am meisten liebt, der „Sophist“ und der „Staatsmann“, sind voll von den politisch anti-demokratischen Konsequenzen dieser Unterscheidung. Da für Plato im „Staatsmann“ das Gesetz nur das kleinste Übel, der „Führer“ aber das Ideal ist, konnte Heidegger seine Gleichschaltung mit dem Führer gewissermaßen altphilologisch besiegeln.
Weiter sind beide, die Philosophie des Nationalsozialismus und die Philosophie Heideggers, Okkupations-Doktrinen: beide machen die Welt, in der sie leben, zum Attribut der eigenen Existenz - die eine mit Tanks und Bomben, die andere mit spekulativen Mitteln. Beide sind des weiteren skrupellos und in beiden wird der Tod zugleich verherrlicht und bagatellisiert. Beide sind Anti-Zivilisationstheorien. Und beide sind gegen jede Art von Universalien (wie Menschheit, Internationalität, Katholizität), da es beiden eben nur auf das entschlossene, d.h. aber verschlossene Selbst ankommt.
Die Schein-Konkretheit von Heideggers Philosophie
Heidegger empfand zu Recht, dass die ausschließliche Beschäftigung mit theoretischen Akten eine unerträgliche Beengung der philosophischen Aufgabe darstellt. Er wurde nicht von akademischen Problemen, sondern von sehr elementaren philosophischen Schrecken in das Philosophieren hineingezogen; außerdem war er seit seiner Studentenzeit genährt mit den breiten Problemen der klassischen Philosophie und Theologie. Als er die Husserlsche „Intentionalität“ erkannte, musste er sie als universal anwendbare Struktur verstehen, er musste sie aus der Dimension herausheben, die Husserl noch traditionell als Bewusstsein etikettiert hatte. Heidegger sah die Struktur der „Intentionalität“ in der Gesamtheit des „vortheoretischen Lebens“, in der gesamten „Praxis“. Damit fand er sich plötzlich ausgesetzt auf terra incognita: Was er beschrieb, war, „wie man in der Welt da ist“ - in allen Akten des alltäglichen Lebens, die gewöhnlich philosophisch nicht salonfähig waren. Heidegger befand sich nun in jener Provinz, die er „Dasein“ nannte.
Wesen und Eigentlichkeit, namentlich bei Heidegger (1936)
Eines der Hauptkriterien der Pseudorevolution ist, dass sie Vokabeln verwendet, deren unausgesprochener Gehalt den satzmäßig ausgedrückten Lehrgehalt dementiert. Charakteristisch in diesem Sinne ist Heideggers Beibehaltung der Vokabel „Wesen“. Dieses Wort impliziert so viel, dass alles, was ein einzelner Philosoph an nominaldefinitorischen Dekreten dazufügt, im Vergleich dazu belanglos bleibt.
Der mit dem Terminus „Wesen“ angezeigte Sachverhalt ist der einer Zerfällung: Die Welt ist nicht nur; außerdem hat sie ein „Wesen“. Dieses Wissen spielt, wo es auftritt, stets die Rolle des „Wichtigeren“. Mit ihm verglichen ist die Welt nur Welt. Es erfordert eine nicht geringe Anstrengung gegen den Begriff, sich die Absonderlichkeit dieser Zerfällung in ihrer ganzen Krassheit zum Bewusstsein zu bringen.
Die Geschichte liefert uns zwei Denkmotive: die Frage nach dem Woher und die Frage nach dem Guten. Ihre Verbindung ergab den höchst befremdlichen Wesensbegriff. Und gerade diese beiden Motive sind in der Heideggerschen Philosophie abgeschnitten worden. Deshalb ist es zumindest problematisch, ob Heidegger diesen Begriff noch verwenden darf.
Die Was-ist-das?-Frage hat keine andere Absicht als die, durch die Einordnung eines Gegenstandes die Welt wieder vertraut zu machen. Im Vergleich dazu ist die auf Bekanntes abzielende Was-Frage geradezu unverständlich. „Was ist ein Mensch?“ ist eine unverständliche Frage, weil sie nicht erkennen lässt, auf welche Art von Antwort sie überhaupt aus ist. Und weil sie gewissermaßen die Antwort „Mensch“ bereits enthält.
Die zweite Wurzel der Wesensfrage liegt noch tiefer: Der Frage nach dem Wesen liegt die Frage nach dem Ursprung zugrunde. Sie ist wohl verständlich: woher das alles komme. Die Zerfällung der Welt in „Wesen“ und „Wirklichkeit“ ist eine Folge dieser Ursprungsfrage: Die Frage: „Woher kommen die Erzeugnisse?“ setzt eine Dimension voraus, die mehr ist als ihr Erzeugnis. In der abendländischen Kultur wurden von vornherein Ursprung und Entsprungenes zusammen gesehen - wie die Erde und ihre Früchte. Das zu befragende Seiende zerfällt nun in das, was es ursprünglich ist, und einen philosophisch aufgeklärten Rest. Heideggers Philosophie ist voll von derartigen Ursprungsvokabeln. Leben ist zum Beispiel „von Haus aus“ so oder anders. Was bei einem Leben, das angeblich „geworfen“, das sozusagen „aus dem Haus geworfen“ und herkunftslos ist, ein „von Haus aus“ bedeuten kann, ist unerfindlich.
Quelle: Diese Rezension erschien unter www.information-philosophie.de (Editiert)