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Maximen sind bei Immanuel Kant Ausdruck des Vernunftstrebens nach Einheit und Verallgemeinerung; sie sind subjektive Handlungsprinzipien, und Bestandteil des Denkprozesses eines Akteurs für jede rationale Handlung.


Otfried Höffe hat den Ausdruck "Maximenethik" geprägt, um zu zeigen, daß der Begriff der Maxime in Kants Ethik eine zentrale Rolle spielt: nur sie sind der "Gegenstand" des kategorischen Imperativs. Dennoch streiten sich die Kant-Experten darüber, was nun eine Maxime eigentlich sei.

Einen neuen Weg schlägt Michael Albrecht in seinem Aufsatz

Albrecht, Michael: Kants Maximenethik und ihre Begründung, in: Kant-Studien, Heft 2/1994

vor, nämlich "Maximen" und "Grundsätze" synonym zu setzen. Von "Maximen" ist hauptsächlich in der Grundlegung der Metaphysik der Sitten und der Kritik der praktischen Vernunft die Rede (auf die sich demzufolge die Interpretationen konzentrieren); in vielen anderen Texten, etwa den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen oder den verschiedenen Vorlesungen zur Anthropologie spricht Kant von "Grundsätzen".

Kant definiert Maximen als "subjektive praktische Gundsätze". Das bedeutet nach Albrecht:

  1. Sie sind Regeln, "nach welchen das Subjekt handelt" bzw. "handeln will". Sie sind ein Ausdruck dessen, was ein bestimmter Mensch wirklich tun will.
  2. Maximen sind praktische Grundsätze. Als solche betreffen sie die lange Reihe von Einzelfällen, auf die sie anzuwenden sind. Als Grundsätze sind sie allgemeine Sätze; sie dauerhaft zu befolgen, setzt Willensstärke voraus. Maximen macht das Subjekt nur für das, was ihm wichtig erscheint. Ob "ich mich mit Fleisch oder Fisch" ernähre, "wenn mir beides bekommt" ist ethisch gleichgültig, schreibt Kant in der Tugendlehre. Interpreten wie Harald Köhl irren sich deshalb, wenn sie meinen, nach Kant müsse man sich "für alles und jedes Maximen" machen.
  3. Maximen sind subjektiv, d.h. sie sind keine praktischen Gesetze, die für den Willen jedes Vernunftwesens gelten (solche Gesetze nennt Kant "Imperative", und ihr Grundgesetz ist der "kategorische Imperativ"). Sittlich gerechtfertigt sind nur solche Maximen, die dem kategorischen Imperativ Genüge tun, indem sie verallgemeinert werden können. Das Sittengesetz findet wiederum in den Maximen, nach denen das Subjekt handeln will, den Ort seiner Anwendung. Als subjektive Grundsätze haben die Maximen einen "Zweck", aus dem heraus das Subjekt die Maxime für sich begründet. Die Erhaltung der Gesundheit oder die Wahrheitsliebe sind solche Zwecke des Wollens, die man sich zu Maximen machen kann. Die Menschen sind verschieden und können sich, wie Kant sagt, "den Bedingungen des Subjekts gemäß" unterschiedliche Maximen machen.
  4. Es gibt nur ein Grundgesetz der Moralität (den kategorischen Imperativ), aber für jeden Menschen, der sein Tun und Lassen an Maximen bindet, gibt es mehrere Maximen. Anthropologisch gesehen handelt es sich für Kant um einen "Charakter", wenn diese Maximen untereinander zusammenstimmen.

Kant gibt nur wenige Beispiele für Maximen an. Allesamt scheitern sie jedoch in der Prüfung durch den kategorischen Imperativ. Positive Beispiele, so meint Albrecht, könne man jedoch in Kants Biographie finden: So hatte Kant den Grundsatz, keinem Bettler Geld zu geben, aber die städtische Armenkasse mit Spenden zu bedenken.

Vermutlich, so Albrecht, stammt Kants Maximenbegriff von seinem Lieblingsautor Jean-Jacques Rousseau. Bei Rousseau hatte der Begriff "Maxime" drei Bedeutungen: Erstens eine knapp formulierte Lebensregel, zweitens eine allgemeine praktische Regel und drittens eine vom Subjekt befolgte allgemeine Regel seines Verhaltens, also genau das, was auch Kant unter Maxime versteht. Auch für Kant ist eine Maxime bzw. ein Grundsatz von Anfang an eine bewußte Entscheidung, die nur von wenigen vollzogen und angewendet wird. Hier unterscheidet er sich vom Wolffianismus, für den jeder Mensch allemal nach gewissen Maximen handelt, die er sich gar nicht bewußt macht. Viele Interpreten haben diese Unterscheidung Kants übersehen. So behauptete Rüdiger Bubner, Kant zufolge handelten alle Menschen nach Maximen. Verbreitet ist auch die Meinung, etwa bei Oswald Schwemmer, Kant zufolge beruhten die Maximen auf Gewohnheiten. Es gibt aber keine entsprechenden Belegstellen bei Kant, vielmehr wird diesem der wolffianische Begriff der Maxime unterschoben.

Maximen sind für Kant nicht eo ipso moralisch. So kann es durchaus eine Maxime sein, sich immer nach der Mode zu kleiden, um nicht aufzufallen. Maximen werden aber durch vernünftige Überlegungen gefaßt, und diese verweisen unmittelbar auf die moralische Forderung der Vernunft. Die menschliche Vernunft kann aber gegenüber dem unbedingten Anspruch, der in ihr steckt, taub sein und sich ganz in den Dienst irgendwelcher Neigungen stellen, sei es aus Irrtum oder aus Dummheit. Maximen sind Ausdruck der Freiheit, mit der der Mensch sich selbst einen Charakter gibt. Nicht jeder Mensch macht sich Maximen, aber jeder Mensch soll das Vermögen zur Freiheit, das in jedem Menschen vorhanden ist, auch anwenden. Der Mensch verwirklicht seine Freiheit nach Kant so, daß er sich an selbstgewählte Maximen bindet, denn dadurch macht er sein Handeln von der Natur in sich und außer sich unabhängig und bestimmt sein Handeln selbst. Freiheit ist die Unabhängigkeit vom Zwang der Neigungen, eine Unabhängigkeit kraft Autonomie: sich selbst das Gesetz geben.

Warum aber heißt moralisch leben nach sittlichen Maximen leben? Weil die Maxime erstens eine Willensentscheidung ist und es nach Kant das Motiv ist, das über die moralische Qualität einer Handlung entscheidet und weil zweitens die Maxime der Entschluß ist, gleichförmig zu handeln: ausgeschlossen wird die Möglichkeit, sich je nach Anlaß oder Neigung auch einmal anders zu entscheiden, als es die Maxime vorschreibt.

Damit die Tugend, wie Kant sagt, "ein beständiges Fortschreiten" sein kann, muß sie sich der Maximen bedienen. Nicht dadurch, daß der Mensch sich immer tugendhaftere Maximen macht, wird dies in Kants Sicht erreicht, sondern dadurch, daß er sich an seine tugendhaften Maximen hält und Stärke in ihrer Befolgung zeigt.

 

Quelle: Diese Rezension erschien unter www.information-philosophie.de (Editiert)