Putnam ist einer der maßgeblichen Vertreter des „moralischen Realismus“. Spätestens seit seinem Buch Reason, Truth and History, das 1981 erschien, hat er den moralphilosophischen Skeptizismus differenziert kritisiert. So bemängelt er dabei eine überscharfe Unterscheidung von Tatsachen und Wertungen. Allerdings, so schreibt Putnam,
„während ich den moralischen Skeptizismus unterminieren will, ist es nicht meine Absicht, entweder einen Autoritarismus oder einen moralischen Anspruch zu verteidigen... Aus diesem Grund habe ich mich in den letzten Jahren den Schriften der amerikanischen Pragmatisten zugewandt“.
Wie Hans Joas in seinem Beitrag
Joas, H.: Werte versus Normen. Das Problem der moralischen Objektivität bei Putnam, Habermas und den klassischen Pragmatisten, in: (Raters/Willaschek (Hrsg.): Hilary Putnam und die Tradition des Pragmatismus, stw 1567, 2002, € 16.—, Suhrkamp, Frankfurt)
schreibt, hatte der Kontakt mit den Pragmatisten auf Putnams Denken eine außerordentlich produktive Wirkung. Putnam hat deren Argumentation so rekonstruiert und dabei verbessert, dass ein modifizierter „Neo-Pragmatismus“ ins Blickfeld gerückt ist. Dieser Neopragmatismus unterscheidet sich beträchtlich von dem Rortys und von dessen Neuerfindung Putnams als seines „imaginary playmate“. Viele heutige Pragmatisten – und dazu gehört zweifellos auch Joas selber - sind sichtlich darüber erleichtert, dass es ihnen durch Putnams Reputation leichter gemacht wird, die Differenzen zwischen Rortys Denken und dem der Klassiker des Pragmatismus deutlich zu machen.
Auch die Diskursethik von Apel und Habermas basiert auf den Ideen der klassischen Pragmatisten. Allerdings ist diese einerseits durch eine scharfe Trennung zwischen Werten und Normen gekennzeichnet und andererseits durch die These, dass moralische Objektivität zwar auf der Ebene der Normen, aber nicht auf der Ebene der Werte erreicht werden kann. Putnam seinerseits findet diesen Teil des diskursethischen Programms unbefriedigend. 1999, in seiner Rede zur Feier des 70. Geburtstages von Jürgen Habermas, warf er diesem vor, ein nicht-kognitivistisches Verständnis von Werten zu haben, das sich von dem der Positivisten nicht wesentlich unterscheide. Dabei versuchte er zu zeigen, dass sich die Bedeutung von Wertbegriffen nicht in einen rein deskriptiven Teil einerseits und einen Einstellungsindikator andererseits säuberlich zerlegen lässt. Weder können wir Wertbegriffe auf rein deskriptive Bestandteile reduzieren noch sind diese entbehrlich, wenn wir über menschliches Handeln sprechen. Für Putnam können wir über Werte vernünftig miteinander reden; eine auf den Diskurs über normative Geltungsansprüche begrenzte Ethik wie die Diskursethik kann für ihn nur Teil einer Ethik sein. Putnam akzeptiert die weitergehenden Ansprüche von Apel und Habermas
Für Joas ist Habermas im Recht, wenn er eine klare Unterscheidung zwischen der restriktiven und der attraktiven Seite der Moderne, zwischen Normen und Werten, vornimmt. Für Joas kann uns diese Unterscheidung zu einem besseren Verständnis dessen verhelfen, was vernünftige Kommunikation über Werte bedeutet.
Es sind drei Kennzeichnungen, die Habermas zur Definition seiner Unterscheidung heranzieht. Normen und Werte unterscheiden sich erstens hinsichtlich des obligatorischen oder teleologischen Aspekts des Handelns, es wird ihnen zweitens eine Differenz in Hinsicht auf ihre Sollgeltung zugesprochen, dass Normen auf Universalität hin, Werte dagegen auf Partikularität hin angelegt sind. Und drittens erklärt Habermas, dass Normen notwendig die Regelung interpersonaler Beziehung betreffen, Werte dagegen auf das Telos des je eigenen Lebens bezogen seien und deshalb „keineswegs einen vollständigen Bruch mit der egozentrischen Perspektive“ erfordern.
Die erste dieser definitorischen Bestimmungen, so Joas, entspricht der üblichen Unterscheidung von Normen und Werten. Ganz anders verhält es sich allerdings mit den beiden anderen Dimensionen. Die Behauptung, dass die Ethik nur Maximen enthalte, die formulieren, was „für mich“ oder „für uns“ gut sei, während erst die Moral auf das ziele, was gut für alle sei, ist für Joas falsch. Habermas falle hier der sprachlichen Doppeldeutigkeit des Ausdrucks „für mich“ oder „für uns“ zum Opfer. Die Ethik, so argumentiert Joas, was „für mich“ im Sinne meines Glücks gut ist, sondern was „für mich“ im Sinne meiner ehrlichen Einsicht in das Gute, meines Ergriffenseins von Werten gut ist. Auch hinsichtlich der dritten Definition liege Habermas falsch. Es treffe einfach nicht zu, dass Ethiken sich nicht wesentlich auf die Gestaltung der zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Beziehungen richteten und dass universalistische Ethiken uns nicht zum Bruch mit egozentrischen Sichtweisen motivierten.
Joas stimmt mit Putnam darin überein, dass die Diskursethik nur ein Teil der Ethik sein kann. Das zwingt uns zu einer Reflexion darüber, wie wir denn über die Werte (im Unterschied zu den Normen) kommunizieren können. In einem Diskurs über normative Geltungsansprüche – der interreligiöse Dialog zwischen Christen und Juden ist dafür ein Beispiel – gilt es, den Geltungsanspruch des anderen zu akzeptieren oder zumindest bessere Gründe vorzubringen, warum man diesen nicht akzeptieren kann. Aber genau dies trifft für unsere Kommunikation über Werte nicht zu. Wenn wir über Werte sprechen, kommt eine stark affektive Dimension ins Spiel. Deshalb hat eine Kommunikation über Werte Gefühle und Erfahrungen in ganz anderer Weise einzubeziehen, als dies bei rational-argumentativen Diskursen der Fall ist. Eine solche Kommunikation ist zwar schwieriger, der konstitutive Bezug zur Erfahrung macht diese Form des Gesprächs jedoch reicher, als es ein rein rationaler Diskurs sein kann. Wir können unsere Wertbindungen nicht plausibel machen und nicht verteidigen, ohne zu erzählen: Geschichten über die Erfahrungen, aus denen unsere Bindungen erwuchsen.
Quelle: Diese Rezension erschien unter www.information-philosophie.de (Editiert)