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Das Sachbuch "Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?" (2007) mit dem Untertitel „Eine philosophische Reise“ stammt von dem Philosophen & Publizisten Richard David Precht.

Der Autor erzählt auf leicht verständliche und ansprechende Weise philosophische Themen und nutzt dabei die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung über das Gehirn (Neurobiologie), die Psychologie und Medizin, um philosophische Theorien zu beweisen oder zu widerlegen, die im Laufe der Geschichte aufgestellt wurden. Bekannte Philosophen wie Platon, Descartes, Kant, Jeremy Bentham, Nietzsche, Freud, Ernst Mach, Sartre, Peter Singer, Niklas Luhmann, usw. werden besprochen.

Inhalt

Ziel des Buches ist es, die Neugier und die Lust am Denken zu wecken sowie zu einem fortschrittlichen, bewussten Leben zu ermutigen.

Zusammenfassung

Eine wirkliche Inhaltsangabe ist nicht möglich, dazu müsste das Buch "abgeschrieben" werden;-). Aber ein kurzer Abriss kann dem geneigten Leser einen Eindruck vermitteln, was auf ihn zukommt. Das Buch ist in 3 Teile gegliedert, inspiriert von 3 großen Fragen der Menschheit, die der Philosoph Immanuel Kant einst formulierte:

  1. Was kann ich wissen? – konzentriert sich auf Beschreibungen des Gehirns sowie der Natur und des Umfangs des menschlichen Wissens, beginnend mit Fragen, die von Kant, Descartes, Nietzsche, Freud und anderen Philosophen analysiert wurden.
  2. Was sollte ich tun? – behandelt ethische und moralische Fragen und nutzt neurologische und soziologische Forschung, um zu erklären, warum wir Mitgefühl für andere haben und uns gezwungen fühlen, moralisch zu handeln. Medizinethische Debatten über Abtreibung, Klonen, Euthanasie und andere kontroverse Themen.
  3. Worauf kann ich hoffen? - dreht sich um die wichtigsten Fragen des Lebens: Was ist Glück und warum lieben wir? Gibt es einen Gott und wie können wir seine Existenz beweisen? Was ist Freiheit? Was ist der Sinn des Lebens?

Rezeption

Das Buch "Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?" wurde von der Kritikerin Elke Heidenreich in der Literatursendung "Lesen!" im ZDF empfohlen. Anschließend gelangte das Buch im Februar 2008 auf den ersten Platz der Spiegel-Bestsellerliste und blieb dort bis Oktober 2012. Es hält damit den Langzeitrekord. Bis 2013 wurden über eine Million Exemplare in 32 Sprachen verkauft. Laut Buchreport war es das erfolgreichste deutsche Hardcover-Sachbuch des Jahres 2008 und belegte unter den Bestsellern des Jahrzehnts (2000–2010) den dritten Platz.

Kritik

  1. Michael Springer resümierte in Spektrum der Wissenschaft: „Ein Buch über Philosophie, das man gut gelaunt zuklappt wie nach einem Abend mit vielseitig interessierten und darum interessanten Gästen“.
  2. Rolf Breitenstein schrieb in der Zeitschrift der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, das Buch sei „anekdotisch gut gewürzt“, biete dem Leser aber außer einem Loblied auf Epikur nicht viel mehr als gute Hausrezepte.
  3. Dezidiert kritisch äußerte sich Jens-Christian Rabe in der Süddeutschen Zeitung, indem er in seinem Fazit vor allem „die Gestik des Buches“ beklagt: Wie vertrackt das jeweils verhandelte Problem auch liege, nach rund zehn Seiten sei jeweils nicht nur Schluss, sondern auch „manch allzu verdächtig apodiktisches Urteil“ gefällt.

Rezension

Dies ist ein Auszug einer Rezension von Manuel Clemens über Richard David Prechts philosophischen Bestseller „Wer bin ich und wenn ja wie viele?“ (397 S., kt., € 14.95, Goldmann, München) - erschienen in der Zeitschrift www.information-philosophie.de

"Fast jeder Bildungsroman beginnt mit einer Reise. Der junge Held verlässt seine Heimat und lernt sich durch die Begegnung mit neuen Welten, Milieus und Personen erst richtig und von unterschiedlichen Seiten kennen. Nach dieser langen Reise integriert er sich entweder als vielseitige Persönlichkeit in die bürgerliche Gesellschaft oder bleibt ihr, wie im Antibildungsroman, als Künstler, Außenseiter oder Misanthrop außen vor."

[…]

"Bevor man sich diesem Buch kritisch nährt, gilt zunächst einmal das A priori für jeden Bildungsbestseller: Es ist besser, wenn 220.000 Menschen dieses Buch lesen (so hoch ist die bisherige Auflage), als wenn sie dies nicht tun. Irgendetwas sickert immer an den richtigen Ort und bei einer Einführung kommt es nicht auf Vollständigkeit und Detailgenauigkeit, sondern auf die längstmögliche Aufrechterhaltung des Plaudertons an. Einführungen können Verbindungen schaffen, die den grundständigen Werken der jeweiligen Disziplin selbst für das Vorwort zu banal sind, jedoch in Wirklichkeit zeigen, wie sehr der abstrakte Stoff mit alltäglichen Erfahrungen und der nicht-akademischen Welt verknüpft ist. Es gibt ein Wissen, das zwischen den Zeilen der großen Bücher liegt und oft nur in Gesprächen beim Improvisieren, im Feuilleton oder eben in unterhaltsamen Abhandlungen zu Tage tritt.

Nach der Lektüre des Buches jedoch, sozusagen a posteriori, darf man sich allerdings auch fragen, was der Autor hätte besser machen können, denn end- und wahllose Globetrotter können die stumpfsten und gewöhnlichsten Menschen sein, da häufig, wie Egon Friedell einmal schrieb, „nicht der richtige Reisende die richtige Reise macht“. Prechts Reise ist in diesem Rahmen dann leider eine Mischung aus nicht-richtig-vom-Fleck-kommen und globetrotteln."

"Precht kommt einerseits zu keiner wirklichen Reise, da er durch die Lektüre von zu viel Gehirnforschung nie richtig loszieht. Mit seinen guten und lebendigen Beschreibungen der einzelnen Philosophen holt er sie zwar aus der oft schwer verständlichen akademischen Welt heraus, jedoch führt er sie nicht weiter in die Endlosigkeit des Denkens, sondern in die Strenge der Naturwissenschaft.

Es führt bei ihm kein Weg von Nietzsches poetischer Welt zum kreativen Chaos, das einen tanzenden Stern hervorbringt, sondern zu Darwin und zur Geschichte der Entwicklung des menschlichen Gehirns und Sartres radikale Freiheit endet in der Unfreiheit, von der die Neurowissenschaft ausgeht. Fast drängt sich einem das Bild auf, dass es jetzt nicht nur die von Precht kritisierten langweiligen Universitätsprofessoren „in braunen oder blauen Busfahreranzügen“ sind, die der Philosophie die Leidenschaft austreiben, sondern auch weiß bekittelte Forscher in sterilen Neubauten, deren Theorien nicht mehr im Leben, sondern im Labor ihre Ausgangspunkte zu haben scheinen.

Precht weist zwar immer wieder darauf hin, dass subjektive Erlebniszustände durch das Messen der Gehirnströme nicht erfasst werden können und das uns ein Gehirnforscher nur sagen kann, dass wir etwas wahrnehmen, aber nicht „wie es sich anfühlt“ und „warum es sich so anfühlt“, jedoch entfaltet er das Reich einer poetischen oder freiheitlichen Welt nicht. Man gewinnt dadurch wenig Selbsterkenntnis und bleibt bei abstrakten Fragen wie „Was ist Wahrheit?“, „Was sind Gefühle?“ oder „Was ist das Gedächtnis?“ stecken. "

[…]

"… dass Besteller-Einführungen etwas suggerieren, was sie nie einlösen können – die Überführung des Denkens ins Lebbare. Die Botschaft ist dabei immer die gleiche: man muss die Bücher nur so leicht verständlich wie möglich schreiben, und je besser dies gelingt, desto mehr verflüssigt sich die Theorie und gelangt ins Leben. „Popularisierung“ ist in der Massenkultur zu einer Kategorie geworden, die, wie in der höheren Kultur das Aufsprengen der Formen durch die Avantgarde oder dekonstruktive Lesarten in der Postmoderne, alte Theorien durch Kritik zu beleben vorgibt.

Prechts Weisheiten sind somit zwar immer kurz und verständlich, aber es ist fraglich, ob sich diese Einfachheit auch so einfach ins Leben übersetzt, da Einsicht noch lange nicht in Handeln übergehen muss. Dies ist natürlich nicht Prechts Schuld, sondern das genuine Problem jeder Theorie, jedoch verschlimmert es sich, wenn Weisheiten aus Gründen der Einfachheit zu Allerweltsweisheiten werden.

Das Buch rutscht zwar nicht in die Banalität ab, jedoch wird den Gedanken die Möglichkeit genommen, sich beim Lesen in den Leser einzuweben, da sie zu schnell wieder aufhören und sie aus der daraus resultierenden Einfachheit jedem schon bekannt sein dürften. Es sind Ratschläge wie „Füllen Sie Ihre Tage mit Leben und nicht Ihr Leben mit Tagen“, die zeigen, wie bekannt viele Empfehlungen sein dürften und von Precht nur in die Philosophiegeschichte eingewebt werden, nicht aber ins Leben. Von der Schwere des Denkens und einer philosophischen Lebensweise scheint er seinen Lesern nicht allzu viel zumuten zu wollen."

[…]

"Das Schlüsselerlebnis des Bildungsromans, sich entweder wieder in die Gesellschaft zu integrieren oder als Außenseiter weiterzumachen, kann hier gar nicht stattfinden, da der Leser nie aus seiner Vertrauten Umgebung rausgerissen wird. Wer mit diesem Buch auf Reisen gehen will, kann sich – á la Hape Kerkeling – mit einem kurzen „Ich bin dann mal weg“ verabschieden, da er sowieso gleich wieder zurück sein wird."

Die vollständige Rezension ist im Gedächtnis des Internets zu finden: Der Pauschalurlaub zur reinen Vernunft. Prechts Bestseller "Wer bin ich und wenn ja wieviele?" - (archive.org)