PhilosophiePhilosophie

Eine kommentierte Liste der wichtigsten Texte von Platon und ihrer diversen Übersetzungen (Ausgaben) - chronologisch nach Erscheinungsjahr sortiert.

Inhalt

Welchen Platon lesen?

Eine kritische Übersicht von Dr. phil. Jörg Pannier

Die Besprechung orientiert sich an 3 Fragen: Welche Übersetzungen sind aktuell [Stand 2006] gebräuchlich, welche eignen sich für Lektüre und Studium, welche sollte und welche kann man sich anschaffen. Dabei stehen die Gesamtausgaben im Mittelpunkt des Interesses. Zugleich wird aber auch auf ausgewählte Einzelausgaben hingewiesen.

»Man kann den Grad des historischen Sinns, welchen eine Zeit besitzt, daran abschätzen, wie diese Zeit Übersetzungen macht und vergangene Zeiten und Bücher sich einzuverleiben sucht«. Friedrich Nietzsche

Mit Nietzsche, der keineswegs gut auf die Zunft der Philologen, immerhin seine eigene Zunft, zu sprechen war, wollen wir uns der heiklen Aufgabe unterziehen, einen Blick auf die gängigen Ausgaben der Werke Platons zu werfen.

Heikel ist diese Aufgabe, da es sich bei diesen Werkausgaben zum Teil um hoch angesehene, wenn nicht gar »klassische« Ausgaben handelt. Erschwerend kommt hinzu, dass man es mit Philosophen und Philologen zu tun hat. Beiden Gruppen kann man es aber selten gleichzeitig recht machen. Weder als Übersetzer noch als Rezensent.

Schleiermacher-Ausgabe

Friedrich Schleiermacher (1768 - 1834) war ein deutscher evangelischer Theologe, Altphilologe, Philosoph und Pädagoge.

Seine Übersetzung der Werke Platons, machte besonders durch die Einleitungen zu den Dialogen Epoche. Sie prägte die Platondeutung, die ausschließlich die Dialoge in den Mittelpunkt der Platon-Interpretation stellte
Schleiermacher gilt als Begründer der modernen Hermeneutik. Sein Werk "Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens" (1813) gehört zu den bedeutendsten Zeugnissen deutscher Übersetzungstheorie.

Der Platon-Klassiker

Platon, Sämtliche Werke, nach der Übersetzung von Friedrich Daniel Schleiermacher u. Hieronymus Müller, hrsg. v. Walter F. Otto, Ernesto Grassi und Gert Plamböck, Rowohlt Verlag, Hamburg 1957-59, zahlreiche Nachdrucke. 1994 neu herausgegeben von Ursula Wolf.

  1. Band 1: Apologie des Sokrates, Kriton, Ion, Hippias II, Theages, Alkibiaddes I, Laches, Charmides, Eurhyphron, Protagoras, Gorgias, Menon, Hippias I, Euthydemos, Mene- xenos. Kt., rororo 55561, € 11.50.
  2. Band 2: Lysis, Symposion, Phaidon, Kleito- phon, Politeia, Phaidros. Kt., rororo 55562, € 22.50.
  3. Band 3: Kratylos, Parmenides, Theaitetos, Sophistes, Politikos, Philebos, Briefe. Kt., rororo 55563, € 11.50
  4. Band 4: Timaios, Kritias, Minos, Nomoi. Kt., rororo 55564, Rowohlt Verlag, Reinbek, € 11.50.

Diese Übersetzung aus den ersten Tagen des 19. Jahrhunderts dürfte nach wie vor im deutschsprachigen Raum den höchsten Ver­breitungsgrad behaupten. Preiswert und zuverlässig bietet sie die als klassisch zu bezeichnende Übersetzung von Schleiermacher, verzichtet aber in den heutigen Auflagen leider auf dessen wirkungsmächtige Einleitung in die Platonlektüre, dank derer die Platon-Rezeption seit der Frühromantik für breitere Schichten geöffnet wurde. Nachfolgende Generationen von Philosophiestudenten bekamen durch Schleiermachers Übersetzungsleistung auch ohne philologische und philosophische Vorkenntnisse Zugang zum platonischen Werk. Allerdings wurde ihnen auch en passant Schleiermachers humanistisch-theologisch gefärbtes Platonverständnis vermittelt. Allein schon wegen dieser kaum zu unterschätzenden Wirkungsgeschichte ist die Schleiermacher-Ausgabe, mit ihren Ergänzungen durch Müller, stets zu berücksichtigen, prägte sie doch, was Terminologie, Verständnis und Lesbarkeit anbelangte, die nachfolgende Platonrezeption erheblich. Auch der Textumfang, der Ausschluss aller als pseudoplatonisch eingestuften Schriften (mit Ausnahme der Briefe), wurde bis auf die heutigen Platon-Ausgaben festgelegt.

Schon früh regte sich an Schleiermachers Übersetzung, seinem Begriffsgebrauch und seinem Platonverständnis Kritik. Als einzige greifbare Gesamtübersetzung blieb sie jedoch für lange Zeit konkurrenzlos. Ihre allgemeine Verfügbarkeit, ja ihre Allgegenwärtigkeit in der Platon-Diskussion, ließ sie als unverzichtbar erscheinen.

Über die Jahrzehnte hinweg änderte sich aber nicht nur das philosophische und philologische Platonverständnis, es änderte sich auch die deutsche Sprache. So wurde in den folgenden Auflagen der Ausgabe immer wieder nachgebessert, angeglichen, korrigiert, jedoch war dies nur mit philologischer Pietät möglich, die größere Eingriffe verbot. So hat ihre Lektüre heute, fast genau 200 Jahre nach dem ersten Erscheinen der Ausgabe, einen eigenwillig antiquierten und gestelzten, verstaubten, gelegentlich unfreiwillig erheiternden Charme. Die manchmal unnachgiebig am griechischen Original klebende deutsche Satzkonstruktion macht darüber hinaus die Lektüre recht anstrengend. Leider wird heute oft der gedrechselte Stil, die seltsam verschlungene Terminologie und das altväterliche Pathos Platon und nicht der antiquierten Übersetzung angelastet.

Fazit

Die von Grassi besorgte Rowohlt-Ausgabe der 60er Jahre präsentierte nur den »nackten« Text, ohne Einleitung, Kommentar, ausgestattet bloß mit einer kargen Bibliographie und minimalistischem Rand. Die seit 1994 erscheinende Wiederauflage wurde von der Herausgeberin Ursula Wolf um ein kurzes Vorwort für jeden Band und ein knappes Literaturverzeichnis ergänzt. Insgesamt wurden Ausstattung und Layout im Sinne der Lesefreundlichkeit verbessert. Trotzdem: Wer jetzt eine lesbare, auf dem aktuellen Stand der Philologie und Philosophie stehende Übersetzung sucht, wird kaum noch zu Schleiermachers Platon greifen wollen.

Apelt-Ausgabe

Otto Apelt (1845 - 1932) war ein deutscher klassischer Philologe, Übersetzer und Gymnasiallehrer. Im Ruhestand widmete er sich dann seinem Lebenswerk, der Übersetzung und Kommentierung sämtlicher Schriften des Platon. Trotzt der eher ablehnenden Haltung der Fachwelt waren die Bücher mit teilweise drei Auflagen recht weit verbreitet. Das Werk wurde zuletzt 2004 in 6 Bänden nachgedruckt.

Der Lese-Platon

Platon, Sämtliche Dialoge in deutscher Übersetzung, herausgegeben. v. O. Apelt, in Verbindung mit K. Hildebrandt, C. Ritter u. G. Schneider, 1923. Nachdruck 1993, zusammen 4512 S., kt., 7 Bände in Kassette, € 49.80, Felix Meiner Verlag, Hamburg; einzeln in der ”Philosophischen Bibliothek”:

  1. Euthyphron, kt., PhB 269, € 6.80.
  2. Laches, kt., PhB 270, € 12.80.
  3. Menon, kt., PhB 278, € 12.80.
  4. Der Sophist, kt., PhB 265, € 16.80.
  5. Der Staat. Über das Gerechte, kt., PhB 80, € 16.80.

Diese Ausgabe geht auf die Initiative des Meiner Verlages zurück, der bei seiner Gründung 1911 in der Philosophischen Bibliothek nur drei platonische Dialoge im Angebot hatte. Deshalb wurde Otto Apelt mit der (Neu)Übersetzung des Gesamtwerks beauftragt, wobei auf die Wiedergabe des griechischen Textes ebenso wie auf die Übersetzung der pseudoplatonischen Schriften verzichtet wurde.

Die Übersetzungen der Dialoge erschienen in den folgenden Jahren sukzessive als Einzelbände. Ende des ersten Weltkrieges lag die Gesamtübersetzung aller damals als echt anerkannten Dialoge abgeschlossen vor. Jeder Band verfügte über eine mitunter umfangreiche Einleitung, eine aktuelle Literaturübersicht, eine Zusammenfassung des Inhalts und eine Gliederung des jeweiligen Dialogs sowie ausführliche Anmerkungen und ein Register.

Die Übersetzung sollte dem Sprachgefühl der Zeit entsprechen, und man hoffte, durch den konsequenten Verzicht auf die Kunstausdrücke der Scholastik einen platonischen Text anzubieten, der sich »weitgehend« von selbst verstehen würde. Folglich war die Übersetzung etwas freier und »blumiger« als alle bisherigen. Apelt, der sich dezidiert gegen Schleiermacher wendet, legte fest: »Sinngetreu – immer! Wortgetreu – solange es sich mit dem Genius unserer heimischen Sprache und der Rücksicht auf Verständlichkeit verträgt« (Bd. I, S. VI). Eine Kommentierung war nicht vorgesehen, alles Problematische sollte über die Anmerkungen erläutert werden. Die Bände fanden wegen ihrer guten Lesbarkeit nicht nur bei der eigentlichen Zielgruppe, den Studenten, sondern auch bei einem breiteren Publikum eine hohe Akzeptanz und somit weite Verbreitung. Dies dürfte ungeschmälert bis heute gelten.

Zur Gesamtausgabe zusammengefasst wurden die Einzelbände mit den 27 Dialogen und Briefen Platons erstmals Anfang der 20er Jahre, wozu Apelt eine Einleitung in die Gesamtausgabe und ein überaus verdienstvolles Gesamtregister beisteuerte. Die Anordnung der Dialoge ist vage chronologisch, Apelt lehnt mit markigen Worten jede Interpretation aus dem historischen Zusammenhang der Dialoge als bloß philologische Spielereien ab: »Der Teufel hole das ›historische Begreifen‹ großer Genien!« (Bd. I, S. XXXI).

Die unterschiedlichen Drucktypen der Einzelbände wurden bis heute beibehalten, was den optischen Charme dieser Ausgabe ausmacht. Eine Überarbeitung dieser erfreulich gut lesbaren platonischen Texte hat bisher nicht stattgefunden, auch wenn einzelne Passagen aus heutiger Sicht philologisch problematisch, historisch überholt, manche Anmerkung philosophisch fragwürdig geworden sind und die sprachliche Entwicklung schon wieder teilweise über die Übersetzung hinweg gegangen ist.

Zu nennen sind hier noch 4 Neuübersetzungen platonischer Dialoge, die im Meiner Verlag erschienen sind: Hans Günter Zekl (Timaios, kt., PhB 444, € 24.80; Parmenides - gegenwärtig vergriffen) und Barbara Zehnpfennig (Phaidon, kt., PhB 431, € 18.80. Symposion, Ln., PhB 520, € 36.—) haben jeweils gut eingeleitete und mit kompetenten Anmerkungen ausgestattete zweisprachige Ausgaben herausgegeben. Ihre Übersetzungen, besonders die Zekls, sind vortrefflich und bestens zu empfehlen.

Fazit

Diese Gesamtausgabe ist aber trotzdem durchaus noch empfehlenswert, gerade weil sie mit ihren lebendigen Texten einen echten Lesegenuss bietet, der selbst »Platon-Muffel« anspricht und verschiedene Zugänge zu einer intensiveren Beschäftigung mit Platon eröffnet. Einzelausgaben der Apelt-Über­set­zung hat der Meiner Verlag übrigens als zweisprachige überarbeitete Ausgaben aufgelegt.

Kröner Ausgaben

August Horneffer (1875 - 1955) war ein deutscher Philologe und Freimaurer.

Der »Blut-und-Boden« Platon

Platon, Der Staat, übersetzt von A. Horneffer, eingeleitet von K. Hildebrandt. 10. Auflage 1973, XXXIX, 374 S., € 12.30, KTA 111, Kröner Verlag, Stuttgart.

Platon, Hauptwerke, ausgewählt und eingeleitet von W. Nestle. 8. Auflage 1973, XXVII, 336 S., KTA 69, € 12.30, Kröner Verlag, Stuttgart.

Nahezu zeitgleich mit der Apelt-Ausgabe (1917-18) entstand die aus heutiger Sicht nicht unproblematische Übersetzung der Politeia von August Horneffer. Begeistert von der platonischen »Eugenik«, dem darin verborgenen vermeintlichen Biologismus und dem damals mit Nietzsche verbundenen Pathos des »Willens zur Macht« frönt die Übersetzung der Idee des »gesunden Staates«. Besonders die Ende der 30er Jahre verfasste Einleitung von Kurt Hildebrandt legt eine der Zeit entsprechende Lesart nahe. Die heute lieferbare Ausgabe von Der Staat ist um die »brisanten« Stellen der damaligen Einleitung erleichtert worden, an der Übersetzung wurde offenbar nicht redigiert. Wer die handliche und günstige Kröner-Ausgabe benutzen möchte, sollte um die ursprüngliche Zielrichtung wissen.

Die ebenfalls bei Kröner erschienene kleine Auswahl Platon Hauptwerke, ausgewählt und eingeleitet von Wilhelm Nestle, bietet zwar etliche der zentralen Partien aus einigen Dialogen, jedoch nie einen Text vollständig. Die sachkundigen Einleitungen und Überleitungen fokussieren stets in ganz bestimmter Absicht, nämlich der des Herausgebers. Es handelt sich also allenfalls um ein Lesebuch, bestenfalls ein »Appetizer«, der Lust auf »mehr Platon« machen kann. Als Grundlage für eine systematische Auseinandersetzung ist dieser kleine Band auch gar nicht gedacht.

Fazit

Trotz der Einwände ist festzuhalten: Die Horneffer-Übersetzung, die auf den griechischen Text verzichtet, ist durchaus gut lesbar, an vielen Stellen klar und knapp. Der populäre Kröner-Verlag hätte bei der Wahl einer neuen und klärenden Einleitung sicher eine glücklichere Hand bewiesen als mit der heute deplazierten und gekürzten Fassung von Hildebrandts Text. Die Horneffer-Über­setzung ist als historischer Text sehr aufschlussreich, bietet er doch eine bestimmte Lesart Platons, die durchaus auch noch das philosophische Platon-Verständnis in der frühen Bundesrepublik geprägt hat. Wer Poppers antiplatonischen Spasmus des ersten Bandes seiner Buches "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" verstehen will, sollte unbedingt diese Ausgabe kennen.

Berliner Ausgabe

Erich Loewenthal (1894 - 1943) war ein jüdischer deutscher Neuphilologe und Literaturwissenschaftler.

Der prekäre Platon

Platon, Sämtliche Werke, herausgegeben von Erich Loewenthal, mit bio-bibliographi­schem Bericht von Bernd Henninger und editorischem Nachwort von Michael Assmann, Lambert Schneider Verlag, Heidelberg 81982 (Berlin, 1940). Im Buchhandel restlos vergriffen.

Der Verlags-Slogan »Die vollständigste Platon-Ausgabe in deutscher Sprache« ist seit dem ersten Erscheinen der Berliner Ausgabe im Jahre 1940 immer noch zutreffend, denn die jüngere Hülser-Ausgabe verzichtet auf die Epigramme. Dafür bietet die Berliner Ausgabe leider keinen griechischen Text. Vollständigkeit, pünktliche Übersetzung und eine gute einheitliche Lesbarkeit sind die obersten Editionsprinzipen dieser Ausgabe. Das Kriterium der »Vollständigkeit« führte aber den damaligen Herausgeber Erich Loewenthal zu einer wichtigen Vorentscheidung bei der Auswahl der Übersetzungen. Moderne Übertragungen verzichteten auf alles Pseudoplatonische, und man hätte deshalb hierbei auf älteres Übersetzungsmaterial zurückgreifen müssen, was aber die sprachliche Einheitlichkeit der Ausgabe gefährdet hätte. Da für die Vergabe eines kompletten Übersetzungsauftrages die finanziellen und personellen Mittel seitens des Verlages fehlten, blieb nur die Möglichkeit der Auswahl aus dem älteren Übersetzungsbestand, der zudem noch den Vorteil der geklärten Tantiemenlage für sich hatte.

Loewenthal hat alle damals in Frage kommenden Übersetzungen herangezogen, miteinander verglichen und die ihm am besten geeignet erscheinenden ausgewählt und zusammengestellt. Benutzt wurden die Übersetzungen von Julius Deuschle (†1861), Eduard Eyth (†1884), Emanuel Geibel (†1884), Ludwig Georgii (†1896), Friedrich Jacobs (†1847), Jakob Mähly (†1902), Hieronymus Müller (†1861), Johann Gottlob Regis (†1854), Friedrich Schleiermacher (†1834), Lorenz Straub (†1926), Franz Susemihl (†1901), Wilhelm S. Teuffel (†1878) und Wilhelm Wiegand (†1881).

Bei der Anordnung folgte Loewenthal weitgehend der antiken Tradition. Er modernisierte behutsam Ausdrücke und Schreibweisen, auch glättete er Ungereimtheiten, ohne sich jedoch größere Eingriffe zu erlauben. Die Kriterien für seine Qualitätsvergleiche und Korrekturen hat er uns leider nicht mitgeteilt, alle diesbezüglichen Aufzeichnungen gingen im Bombenhagel verloren. Auf philologische Kommentierung und kritische Apparate hat Loewenthal den Verlagsvorgaben gemäß verzichtet. Es gibt keine Anmerkungen, und auch von Erläuterungen wurde abgesehen. In der zweiten Auflage (1942) wurde ein »Erläuterndes Register« angefügt, das vor allem Namen von Personen und Orten erklären sollte.

Loewenthals Arbeit an dieser Ausgabe war aber nicht nur wegen der Kriegszeit, der Verlagssituation und den daraus resultierenden Vorgaben prekär. Sein Leben als Jude in Deutschland stand unter dem Schatten des Nationalsozialismus. Nach 1933 waren die Arbeitsmöglichkeiten an einem solchen monumentalen Buchprojekt für einen jüdischen Gelehrten nahezu unerträglich erschwert, seit 1939 sein Leben permanent bedroht. Der Kontakt mit seinem Verleger war auf heimliche Treffen beschränkt, und beim Erscheinen der dreibändigen Platonausgabe musste der Schneider Verlag Loewenthals Herausgeberschaft verschweigen. Den großen Erfolg seiner Ausgabe im »arischen« Deutschland dürfte der Jude Loewenthal mit geheimer Genugtuung beobachtet haben. Leider war es ihm nicht vergönnt, deren weiteren Werdegang zu verfolgen. Im Frühjahr 1943 wurde Loewenthal nach Auschwitz verschleppt und ermordet.

Die heute erhältliche Berliner Ausgabe kommt aus Heidelberg und hält textgetreu an Aufbau und Struktur der ursprünglichen Ausgabe fest, verzichtet aber auf das erläuternde Register der zweiten Auflage. Wer über ein Wörterbuch der Antike verfügt, kommt sicher auch so zurecht. Hinzugefügt wurde ein biographisch-bibliographischer Bericht von Bernd Henninger, der viele Informationen zu den beteiligten Übersetzern enthält. Außerdem gibt es noch ein editorisches Nachwort von Michael Assmann, das über den Werdegang der Ausgabe berichtet. Tabellarische Übersichten zur Chronologie und Echtheit der Schriften Platons sowie eine knappe Auswahlbibliographie auf dem Stand der späten 70er Jahre runden die Ausgabe ab.

Fazit

Als vollständigste Ausgabe mit ihren zum Teil veralteten Übersetzungen, ihrem Verzicht auf den griechischen Text und erläuterndes Beiwerk dürfte sich die Berliner Ausgabe heute eher an bibliophile Interessenten mit einem Faible für Vollständigkeit oder an Benutzer verschiedener Übersetzungsvarianten wenden. Anfänger wird allein schon der Preis für diese Liebhaber-Ausgabe abschrecken, die nur noch antiquarisch erhältlich ist. Ein Blick in diese in jeder Bibliothek vorhandene Ausgabe lohnt aber immer.

Hülser-Ausgabe

Karlheinz Hülser ist ein deutscher Philosoph und Historiker. Seit 1993 ist er auch Verleger und freier Lektor für philosophische Projekte. Als wissenschaftlicher Übersetzer hat er verschiedene Grundlagenwerke zur antiken Philosophie aus dem Englischen ins Deutsche übertragen.

Der Spar-Platon

Platon, Sämtliche Werke in zehn Bänden, griechisch/deutsch, nach der Übersetzung von F. Schleiermacher, ergänzt durch F. Susemihl und andere, herausgegeben von K. Hülser, 1991, kt., 10 Bände in Kassette € 100.--, Insel Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M.; einzeln:

  1. Band I: Ion / Protagoras / Apologie / Kriton / Laches / Lysis / Charmides, kt., € 12.50.
  2. Band II: Eutyphron / Alibiades I/ Gorgias/ Menexenos, kt., € 10.--.
  3. Band III: Menon / Kratylos / Euthydemos / Hippias maior, kt., € 10.--.
  4. Band IV: Hippias minor / Symposium / Phaidon, kt., € 12.50
  5. Band V: Politeia, kt., € 18.—
  6. Band VI: Parmenides / Sophistes / Politikos, kt. € 12.50.
  7. Band VIII: Philebos / Timaios / Kritias, kt., € 12.50.
  8. Band IX: Nomoi, kt., € 14.--.
  9. Band X: Unechtes, Griechisch und Deutsch, kt., € 12.--.

Verzichtet man auf alle Angleichungen, Anmerkungen, Erläuterungen, Fußnoten, Korrekturen, Modernisierungen, Literaturangaben, Zwischentexte und begnügt sich mit höchst mageren Hinweisen am Ende eines jeden Bandes (ganze 19 Zeilen zur Politeia), so erhält man die Hülser-Ausgabe. Das ist gar nicht so abfällig gemeint, wie es sich vielleicht lesen mag: Die Ausgabe bietet immerhin beide Textgrundlagen, wie die Eigler-Ausgabe, aber als »abgespeckte« preiswerte und handliche Version im Taschenbuchformat.

Außerdem wartet sie mit zwei weiteren Vorteilen auf: Man kann jeden Band einzeln kaufen, und die Ausgabe enthält im zehnten Band den (fast) kompletten »unechten« Platon, also alles, was die Philologie über die Jahrhunderte hinweg aus dem Corpus Platonicum als nicht authentisch aussortiert hat, was aber gleichwohl in den »Dunstkreis« um Platon gehört, für lange Zeit für echt oder doch zumindest für annähernd echt gehalten wurde und bedauerlicherweise in den meisten Werkausgaben fehlt: Alkibiades II, Hipparchos, Amatores, Theages, Kleitophon, Minos, Epinomis, Definitiones und der komplette Appendix Platonica werden so erstmals komplett zweisprachig offeriert, wobei die Dialoge De virtute, Eryxias und Axiochos aus dem Appendix in dieser Form erstmals präsentiert werden, und zwar in einer Übersetzung des Herausgebers.

Ebenfalls im Insel Verlag ist die einfühlsame Übersetzung des Symposion von Ute Schmidt-Berger erschienen. Unter dem Titel "Das Trinkgelage oder Über den Eros" erhält man zwar nur den deutschen Text, dafür aber ein sehr umfangreiches Nachwort und profunde Erläuterungen der Übersetzerin sowie eine Zusammenfassung der Wirkungsgeschichte des Symposion von Jochen Schmidt. Die Ausstattung des Buches mit griechischen Vasenbildern sorgt für unmittelbaren »Anschauungsunterricht«. Selbst ein Liegeplan der Teilnehmer findet sich. Ein Namenverzeichnis rundet diese schöne Ausgabe ab.

Fazit

Da sich in diesem Band auch sämtliche Briefe Platons befinden, ist dieser Band nicht nur zur Ergänzung anderer Werkausgaben zu empfehlen. Mit Blick auf die gesamte Ausgabe lassen sich als Zielgruppe all jene bestimmen, die mit dem griechischen Text arbeiten können oder wollen und nicht unbedingt auf textkritische Apparate, Varianten etc. angewiesen sind.

Phaidon-Ausgabe (anonym)

Der Super-Bargain-Platon

Platon, Sämtliche Werke in zwei Bänden, Phaidon Verlag, Essen o.J. [1998], 607 u. 639 S., € 14.95.

Entgegen ihrem Titel ist diese Ausgabe zu einem einzigen voluminösen Band zusammen gebunden worden und erschien (so weit ich sehe) erstmals als Sonderausgabe im Winter 1998 ohne Jahresangabe, ohne Angaben zu den Übersetzungen. Bezeichnend ist, dass der Herausgebers anonym bleibt, obwohl er nicht nur eine Einleitung verfasst hat, sondern auch für die Auswahl und Anordnung der Übersetzungen verantwortlich zeichnet.

Das fast 1300 Seiten starke Buch zum Dumping-Preis erinnert in Layout und Herstellung an anglo-amerikanische Klassikereditionen: kleine Drucktype, schwacher Druck in zwei engen Spalten unter weitestgehendem Verzicht auf Ränder. Es scheint sich hier um eine Ausgabe mit dem verlegerischen Ziel zu handeln, möglichst viel Text zu niedrigem Preis einem überwiegend studentischen Publikum zur Verfügung zu stellen. Wie die angelsächsischen Vorbilder verfügt die vorliegende Platon-Ausgabe über eine kurze Einleitung zu Leben und Werk des Philosophen. Der Herausgeber geht mit gerade mal zwei Bemerkungen auf die dieser Ausgabe zugrundeliegenden editorischen Leitlinien ein: »Die Übersetzung folgt in der Regel denen Schleiermachers oder anderen älteren Übertragungen, die jeweils in Lautstand, Orthographie und Interpunktion dem heutigen Gebrauch angepasst wurden« (I,13). Diese Angaben lassen offen, welche Dialoge der Schleiermacher-Übertragung folgen und welche nicht, wer die anderen Übersetzer sind und wer nun welchen Dialog verdeutscht hat.

Nach einigem Vergleichen stellt man fest, dass die vorliegende Edition mit zwei Ausnahmen, dem Phaidon und der Politeia, ein Wiederabdruck der Berliner Ausgabe ist – aber leider ein schlechter. So fällt auf, dass die von Loewenthal damals getroffene und begründete Anordnung für die Phaidon-Ausgabe mehrmals geändert wurde. Lediglich den Anhang mit den zweifelhaften und unechten Schriften hat der Herausgeber zwar zusammengezogen, aber die Reihenfolge unverändert übernommen. Auf die Epigramme verzichtete er dabei allerdings stillschweigend. Der Herausgeber gibt an, die Anordnung der Schriften insgesamt nach dem heutigen Stand der Forschung vorgenommen zu haben (I,13), ohne jedoch auf den so bemühten Ertrag der Forschung einzugehen, seine Eingriffe auszuweisen, geschweige denn mit nachvollziehbaren Argumenten zu begründen.

Einigermaßen erstaunlich ist, dass der anonyme Herausgeber nicht die jeweiligen Übersetzer und die der Übersetzung zugrundeliegenden griechischen Textausgaben benennt, stehen doch schon alle Informationen in der Berliner Ausgabe zur Verfügung, und er hätte sich, Belege vorausgesetzt, ohne weitere Mühe einfach bedienen können.

Fazit

Die aus der Berliner Ausgabe übernommenen Texte selbst wurden, wie dies umfangreiche Stichproben belegen, nicht eigens verändert oder angepasst. Die reichlich vorhandenen groben Druckfehler, wie sie etwa durch das Scannen von Texte entstehen, legen nahe, dass kaum oder nur nachlässig Korrektur gelesen wurde. Die vom Herausgeber oben genannten Modernisierungen waren bereits Loewenthals Verdienst – der freilich ungenannt bleibt, was angesichts seines Schicksals um so unverzeihlicher erscheint.

Die anvisierte studentische Zielgruppe der Phaidon-Ausgabe wird jedoch noch aus einem anderen Grund nicht zu dieser Ausgabe greifen: Bis auf die Politeia wurde keine Schrift mit der Stephanus-Paginierung versehen! Für den universitären Gebrauch ist aber eine Ausgabe klassischer Texte mit der man nicht nach den verbindlichen Vorgaben zitieren kann, gänzlich ungeeignet. Wie ein solch kapitaler Fehler unterlaufen konnte, ist schleierhaft. Sollte dies nicht in der Zuständigkeit des Herausgebers gestanden haben, würde dies sein Bestreben, anonym zu bleiben, hinreichend erklären. Vom Kauf dieser Ausgabe ist dringend abzuraten.

Artemis-Ausgabe

Rudolf Rufener (1906 - 1972) war ein Schweizer Altphilologe, Gymnasiallehrer und Platon-Übersetzer.

Der knappe Platon

Platon, Sämtliche Werke in acht Bänden, übersetzt von Rudolf Rufener, herausgegeben und eingeleitet von Olof Gigon. Artemis Verlag, Zürich, München 1960-861-2,; im Buchhandel vergriffen;

Ergänzungsband: O. Gigon, L. Zimmermann: Lexikon der Namen und Begriffe, Zürich, München 1974.

Diese Ausgabe ist mit einem der großen Namen der zeitgenössischen Philologie verbunden: Olof Gigon, der diese achtbändige Ausgabe herausgegeben und eingeleitet hat. Übersetzt hat er aber nichts in dieser Ausgabe. Dieser Verdienst kommt allein Rudolf Rufener zu. Seine Übertragung ist modern, ohne sich sprachlich anzubiedern, sie zeichnet sich durch Klarheit und knappen Stil aus, ohne jedoch auf Eleganz zu verzichten. Dabei arbeitet Rufener Platons dialogische Dramaturgie in bewundernswerter Präzision und Lebendigkeit heraus. Die Dialoge erscheinen als das, was sie sein sollen, aber selten wirklich sind: Gespräche. Das, was man unter Philologen gern Platons »gedankliche Tiefe« nennt, wird nicht im Nebel der Unverständlichkeit geschraubter Sätze, vertrackter Formulierungen oder verstaubter Terminologien präsentiert. Platon schreibt in seiner Umgangssprache. Nur manchmal ringt er mit den alltäglichen Worten, um mit ihnen etwas zu sagen, was über den vertrauten Gebrauch hinaus geht. Diese Suche können wir im Deutschen manchmal noch bei Heidegger nachvollziehen, der ein deutsches Wort fremder als ein Fremdwort klingen lassen kann. Rufener löst dieses doppelte Übersetzungsproblem oft ebenso elegant wie einfach, indem er uns diese Wortsuche des antiken Autors als eine solche zeigt. Außerdem zeigt Rufeners Übersetzung (und Gigons Einleitungen) eher die Gemeinsamkeiten als die Unterschiede zwischen Platon und seinem Meisterschüler Aristoteles auf. Insbesondere der Politikos (Staatsmann) ist hier lobend zu erwähnen. Die Anordnung der Dialoge in Frühdialoge, Werke des Aufstiegs, Meisterdialoge, Spätdialoge sowie Der Staat und Die Gesetze erscheint doch etwas vage und willkürlich und insofern problematisch.

Außer der Einleitung und dem Namen- und Sachregister eines jeden Bandes ist den platonischen Texten nichts weiter beigefügt. Der Verzicht auf Erläuterungen oder Anmerkungen ist nicht in jedem Fall durch die Einleitung in den Dialog gerechtfertigt. Der Ergänzungsband Lexikon der Namen und Begriffe von Olof Gigon und Laila Zimmermann kann hier nur unvollkommen Abhilfe schaffen. Auch fehlen Literaturhinweise oder Angaben zu den Quellentexten. Dieses Versäumnis ist der gravierende Nachteil dieser ansonsten gelungenen Ausgabe. Der Verzicht auf alles Pseudoplatonische ist da schon eher lässlicher.

An dieser Stelle sei noch auf die schöne zweisprachige Ausgabe des Symposion im selben Verlag (Artemis/Patmos) hingewiesen, die 1998 von Rainer Nickel neu herausgegeben wurde und die eine ästhetisch anspruchsvolle Übersetzung von Franz Boll und Wolfgang Buchwald präsentiert (164 S., kt., € 8.95).

Fazit

Diese Ausgabe ist wegen ihrer pointierten Übersetzung zwar sehr empfehlenswert, aber sie ist leider schon seit längerem vergriffen. Immer wieder werden jedoch einzelne Bände neu aufgelegt, etwa Platons Staat sowohl im dtv-Verlag (München 1991) als auch als zweisprachige Ausgabe im Artemis Verlag (hrsg. v. Thomas Szlezák, 1008 S., € 88.--) oder als Werkauswahl ebenfalls bei Artemis unter dem Titel Platon, Die großen Dialoge, Phaidon, Symposion, Phaidros, herausgegeben, eingeleitet und mit Literaturhinweisen versehen von Thomas Szlezák (649 S., Ln., € 24.90, 1991). Trotz aller Einschränkungen ist es durchaus bedauerlich, dass diese Ausgabe nicht mehr komplett neu aufgelegt wird.

Eigler-Ausgabe

Gunther Eigler (1930 - 2021) war ein deutscher Philosoph und Pädagoge und bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1998 an der Universität Freiburg tätig.

Der Studien-Platon

Platon, Werke in acht Bänden, griechisch/ deutsch, übersetzt v. F. Schleiermacher, her­ausgegeben. von G. Eigler. 9 Bände, zusammen 5400 S., Ln. in Kassette, Sonderausgabe, € 268.--, 2001, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt.

Etwas ganz anderes ist es aber, wenn man neben die mit nahezu scholastischer Pünktlichkeit operierende Schleiermacher-Über­setzung den griechischen Originaltext nach der Ausgabe der Belles Lettres setzt. Erhält man dazu noch einen textkritischen Apparat und Hinweise auf Schleiermachers Eigenwilligkeiten oder Missverständnisse, so wird daraus eine überaus schätzenswerte Studienausgabe. Wer des Griechischen mächtig ist, sieht im Original die terminologischen Probleme der deutschen Übersetzung, lernt aber auch deren ursprüngliche Eleganz und Verlässlichkeit zu schätzen.

Übernommen wurde neben dem »originalen« Platon auch der »originale« Schleiermacher – und zwar auch dort, wo die Übersetzung jeder (modernen) Lesart des antiken Textes widerspricht. Dies kann bisweilen auch längere Passagen betreffen, wenn Schleiermacher offenbar einen anderen griechischen Text las, als der hier zugrunde gelegte. Diese Stellen wurden penibel gekennzeichnet und in Fußnoten mit Übersetzungsvorschlägen, Textvarianten und akribischen Anmerkungen versehen. Ansonsten wurde nur die antiquierte Schreibweise einzelner Wörter den heutigen (d. h. vor der jüngsten »Rechtschreibreform« geltenden) Gepflogenheiten angepasst.

Zur groben Orientierung haben die Herausgeber in die Übersetzung kurze Zwischentexte eingefügt, die einen kleinen Überblick über das Kommende geben sollen. Dies ist besonders hilfreich, wenn man sich nach einer Lektürepause bis zur bewussten Stelle wieder schnell einlesen möchte oder anhand des Kontextes nach einer Textstelle sucht.

Fazit

Auf eine Kommentierung musste angesichts der Zielsetzung einer Studienausgabe verzichtet werden. Die Anmerkungen haben im besten Wortsinn nur didaktischen Charakter und geben Querverweise, Worterklärungen sowie sachliche Erläuterungen. Die Beschränkung auf das absolute Mindestmaß garantiert einen optimalen Lesefluss sowohl des deutschen, wie auch des griechischen Textes.

Literaturangaben oder interpretatorische Hinweise bietet diese Ausgabe kaum, es wäre auch kein Platz dafür. Nur wenige Verweise auf weiterführende Literatur werden dort gegeben, wo sie zum philologischen und philosophischen Verständnis unbedingt erforderlich sind. Was allerdings schmerz­lich fehlt, ist ein Registerband. Aber dafür bietet die CD-ROM-Ausgabe alles das, was man mit dem Zauberwort »Volltextsuche« verbinden mag.

Mainzer Ausgabe (kommentiert)

Begründet und herausgegeben wurde die Reihe im Jahr 1993 von Ernst Heitsch (1928 - 2019) und Carl Werner Müller (1931 - 2018) im Auftrag der Kommission für Klassische Philologie der "Akademie der Wissenschaften und der Literatur" zu Mainz.

Der unendliche Platon

Platon, Werke, Übersetzung und Kommentar, herausgegeben im Auftrag der Kommission für klassische Philologie der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz von Ernst Heitsch und. Carl Werner Müller, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen.

Die Links verweisen auf die Wikipedia. In Klammern angegeben sind die jeweiligen Bearbeiter der einzelnen Bände.

Seit einiger Zeit liegen die ersten Bände der von der Mainzer Akademie der Wissenschaften in Auftrag gegebenen kommentierten Ausgabe vor. Diese auf etwa 40 Einzelbände angelegte Ausgabe folgt in der Buchreihenfolge der antiken Tetralogieordnung. Deshalb wird sie auch Übersetzungen und Kommentare zu als unecht eingestuften Schriften aus dem Corpus Platonicum bieten.

Die Liste der annähernd dreißig Übersetzer und Kommentatoren, die für die neue Reihe gewonnen werden konnten, ist wegen der versammelten Kompetenz beachtlich, weshalb hohe Erwartungen gerechtfertigt sind. Neben klassischen Philologen sind auch einige Philosophen an diesem Projekt beteiligt, jedoch fällt auf, dass sich unter den Mitarbeitern kaum ein Anhänger der Tübinger Schule findet, so dass die Mainzer Ausgabe weitgehend der Dialogtheorie Schleiermachers folgen dürfte – was bei entsprechender Kommentierung durchaus kein Nachteil sein muss.

Erfreulich ist, dass nicht nur eine korrekte Übersetzung geboten werden soll – bei einem solchen Unternehmen eine Selbstverständlichkeit –, sondern auch der Anspruch besteht, einen Eindruck von der Eleganz und der Lebendigkeit platonischer Dialoge zu vermitteln. Zwar ist jede Übersetzung immer schon Interpretation und kann insofern nie den Rückgriff auf den Originaltext überflüssig machen, doch ist gerade für jene, denen der griechische Text verschlossen bleibt, ein Höchstmaß an Zuverlässigkeit und Texttreue wichtig. Eine kommentierte Ausgabe bietet nun einen Ausweg aus dem Übersetzungs-Trilemma zwischen philologischer Pünktlichkeit, argumentativer Klarheit und ästhetischer Eleganz, da philologische, philosophische, historische und thematische Erläuterungen und Anmerkungen im Kommentar die Übersetzung selbst zugunsten einer besseren Lesbarkeit entlasten. Man darf getrost festhalten, dass die bisher erschienenen Bände den gestellten Ansprüchen bestens entsprechen.

Erfreulich ist auch, dass der teilweise veraltete Gesamtkommentar von Gauss (H. Gauss, Philosophischer Handkommentar zu den Dialogen Platons, 6 Bde, Bern 1952-61) abgelöst und die übrige Kommentarliteratur zusammengefasst wird. Die Literaturverzeichnisse bieten in einem etwas knappen Rahmen einen Überblick über aktuelle und wichtige Publikationen zu den jeweiligen Dialogen.

Unverzichtbar sind trotz Lexicon Platonicum und des TLG auf CD-Rom die der Mainzer Ausgabe angefügten Stellen-, Namen, Sach- und Wortregister. Leider fehlt in allen bisher erschienen Bänden das bei einsprachig publizierten Übersetzungen notwendige Glossar der wichtigsten Begriffe und deren Übersetzung.

Auch wenn die bislang vorliegenden Bände der Mainzer Ausgabe als lang erwartete Desiderate der Forschung lobenswert sind, muss gefragt werden, an wen sich diese Ausgabe richtet. Man könnte meinen, die gute Lesbarkeit der Übersetzungen und die stupende Gelehrsamkeit der Kommentare sei ein Schwanken zwischen populärer und wissenschaftlicher Ausgabe, wobei der Laie den gelehrten Kommentar nicht braucht, während der Gelehrte die Übersetzung als eine Anbiederung an den zeitgenössischen Sprachgebrauch verwirft und sich den Kommentar für die Studienausgabe wünscht. Andererseits muss guter Stil nicht gleich jeder Wissenschaftlichkeit widersprechen, und man sollte auch die sogenannten Laien nicht unterschätzen.

Da diese Ausgabe zukünftig der Maßstab aller deutschen Platon-Ausgaben sein wird, ist es besonders erfreulich, dass man sich seitens des Verlages dazu durchringen konnte, einige der Bände der Mainzer-Ausgabe nun auch als Paperback anzubieten. Ich würde uns wünschen, dass dies für alle Bände gilt. Wie lange es aber dauern wird, bis man die Politeia oder den VII. Brief dieser Ausgabe als Textgrundlage in einem Seminar einsetzen kann, könnten wahrscheinlich nicht einmal die hellsichtigsten Auguren sagen. Ich kann nur hoffen, dass die Platon-Ausgabe nicht in gleich fataler Weise ins Stocken gerät wie die Akademie-Ausgabe des Aristoteles.

Fazit

Die Mainzer Platon-Ausgabe folgt offenbar den Spuren der deutschen Aristoteles-Ge­samtausgabe und teilt mit ihr Defizite und Vorzüge. Beiden fehlt vor allem der griechische Text parallel zur deutschen Übersetzung. Dieser Verzicht, zwar begründbar durch das Vorhandensein griechischer und zweisprachiger Ausgaben, ist aber durchweg misslich und ärgerlich, zumal viele Anmerkungen und Kommentierungen nicht ohne längeren Rekurs auf den griechischen Text auskommen. Wer Griechisch kann (und ohne Griechischkenntnisse sind Teile der Kommentare kaum zu verstehen), möchte wissen, ob die Übersetzungen nicht nur angenehm zu lesen sind, sondern auch, ob sie dem griechischen Text entsprechen. Da die Übersetzung sowohl in der Aristoteles-Gesamtausgabe als auch in der Mainzer Platon-Ausgabe den weitaus geringeren Teil des Buchumfanges ausmacht, würde eine zusätzliche Aufnahme des griechischen Text kaum ins Gewicht fallen.

Reclam-Ausgaben

Der allgegenwärtige Platon

Neben der Schleiermacher-Ausgabe des Rowohlt Verlages dürften die Einzelbände des Reclam Verlags Stuttgart am besten bekannt sein. Hier erschienen die Übersetzungen von

  1. E. Howald (7. Brief, Reclam UB 8892, € 2.10)
  2. H. Flashar (Ion, Reclam UB 8471, € 2.10)
  3. M. Fuhrmann (Apologie, Reclam UB 8315, € 3.10; Kriton)
  4. J. Kerschensteiner (Laches, Reclam UB 1785, € 3.10)
  5. M. Kranz (Menon, Reclam UB 2074. € 3.60)
  6. O. Leggewie (Euthyphron, Reclam UB 9897, € 2.60)
  7. E. Martens (Charmides, Reclam UB 9861, € 4.10; Parmenides, Reclam UB 8386, € 4.60; Theätet, Reclam UB 6338, € 5.60)
  8. H. Meinhardt (Der Sophist, Reclam UB 6339, € 6.10)
  9. W. Krautz (Protagoras, Reclam UB 1708, € 5.60)
  10. K. Vretzka (Der Staat, Reclam UB 8205, € 12.10)

Die früher im Programm befindlichen alten Übersetzungen von Hildebrandt wurden (bislang) ersatzlos gestrichen (Gastmahl, Gorgias). Die Ausgaben sind zum größten Teil zweisprachig, die Politeia leider nicht. Die meisten der Bände verfügen über einen sehr hilfreichen Anhang mit einführenden Bemerkungen zu Zeit und Text, einer Gliederung und kurzen Kommentierung des jeweiligen Dialogs sowie einigen Literaturhinweisen. Die nur deutschsprachigen Ausgaben haben statt des Anhangs ein Nachwort, knappe Anmerkungen und eine Auswahlbibliographie.

Die Reclam-Bände sind generell verlässlich und modern übersetzt, ausreichend erläutert und als Textgrundlage in der zweisprachigen Ausgabe stets zu empfehlen. Leider liegen Platons Texte nur in einer eng begrenzten Auswahl vor. Einer Auswahl, die sich offenbar streng an der Nachfrage orientiert. Die Platon-Bände des Reclam Verlags sind preis­wert, handlich und gut lesbar – allerdings nur mit guten Augen! Der eingangs oben zitierte Nietzsche hätte mit ihnen in dieser Hinsicht seine liebe Not gehabt.

Blickt man mit Nietzsche auf die heute im Handel erhältlichen großen Platon-Ausga­ben, schneiden wir gut ab, wie ich meine. Hier geht man mit besten Absichten, großem Können und dem von Nietzsche geforderten hohen Grad des historischen Sinns daran, sich die vergangenen Zeiten und Bücher nicht etwa einzuverleiben, sondern kritisch zu erschließen. Ob man dies über die erfolgreichen Sammelbände von A. Weimer Mit Platon zum Profit (FAZ, Frankfurt a. M. 31995), M. Schroeder Platon für Gestreßte (Insel 1997), B. Kytzler Platons Mythen (Insel 1997) oder R. Ferber/P. Sloterdijk Platon – Philosophie jetzt! (dtv 1997) sagen kann, möchte ich dahin gestellt sein lassen. Mir scheint es sich hierbei eher um »Platon light« zu handeln, wenn man den antiken Philosophen schön vorsichtig dosiert, quasi homöopathisch verabreicht. Für den Einstieg mögen diese Bände »ganz nett« sein, für die ernsthafte Lektüre scheinen sie mir wenig geeignet.

Autor

Jörg Pannier, geb. 1962, ist promovierter Philosoph und war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Trier und Lehrbeauftragter an der Universität Duisburg. Zur Zeit ist er als freier Autor tätig. Philosophische Publikationen u.a. Das Vexierbild des Politischen (Berlin 1994), abenteuer denken (Münster 2000), Platon oder Aristoteles? Der ‘Politikos' im Spiegel der aristotelischen Kritik, in: Jahrbuch politisches Denken 1998; Zur Friedenslehre des Marsilius von Padua in: Zeitschrift für Politik 48/2001, S. 189-217. Mitarbeit an Metzlers Philosophie Lexikon (Stuttgart 1995), sowie am Historischen Wörterbuch der Philosophie.

 

Quelle: Diese Rezension erschien unter www.information-philosophie.de (Editiert)