Die sokratische Methode (bzw. Debatte), ist eine Form des argumentativen Dialogs zwischen „Gesprächspartnern“ (interlocutor). Es geht darum, Fragen zu stellen und Antworten darauf zu suchen, um kritisches Denken anzuregen und Ideen und zugrunde liegende Überzeugungen weiter auszuarbeiten.
Sokrates selber hat keine schriftlichen Aufzeichnungen verfasst. Sein Schüler Platon hat jedoch die sokratischen Dialoge insbesondere in seinen frühen Werken für die Nachwelt dokumentiert.
Eine wichtige Rolle spielt dabei die Befragung. Dabei wird eine Kombination aus drei Untermethoden angewandt.
- Die Anamnese (altgriechisch: anamnêsis) ist das „Erinnern“ an die Formen der Ideenwelt.
- Die Hermeneutik (hermêneutikê technê) ist die Methode, mit der Sokrates versucht, das transzendentale „Sein“, die Formen, durch „niedere“ Dinge wie das alltägliche Leben und das konkrete Denken in den Griff zu bekommen.
- Die Maieutik (maieutikê technê) ist wörtlich die „Kunst der Hebamme“: die Art und Weise, wie man einem anderen oder sich selbst helfen kann, mit dem wahren Wissen in Berührung zu kommen, mit anderen Worten, bei der „Geburt“ dieses Wissens über die Formen zu helfen.
Außerdem bedient sich Sokrates im Dialog der Ironie (eirôneia): Er gibt vor, der Argumentation seines Gesprächspartners zu folgen, während sich später herausstellt, dass er nicht mit ihm übereinstimmt. Dies führt zum elenchus (elenchos): Er stellt die Ansichten seines Gesprächspartners auf den Prüfstand.
Es handelt sich in den späteren Inkarnationen allerdings um eine dialektische Methode, die eine Diskussion beinhaltet, in der Argumente oder Hypothesen zu einer Position hinterfragt werden. Ein Teilnehmer kann so einen Gegner dazu bringen, für eine Idee zu argumentieren und diese dann mit seinen Fragen zu prüfen, um die Stärken oder Schwächen der Idee zu untersuchen und bessere Hypothesen aufzustellen. Die Diskussionsmethode ist nach dem antiken griechischen Philosophen Sokrates benannt und wurde von erstmals von seinem Schüler Platon in dem Dialog "Theaitetos" dokumentiert.
[Seinen Wirkungsmittelpunkt hatte Sokrates auf dem belebten Marktplatz (Agora) des antiken Athens. Seine Gesprächspartner gehörten beiden Geschlechtern und nahezu allen Altersgruppen, Metiers und gesellschaftlichen Rängen an, die in der Attischen Demokratie vertreten waren.]
Methode
Elenchos (altgriechisch: elenkhos, wörtl. "Argument der Widerlegung oder Widerlegung; Kreuzverhör, Prüfung, Untersuchung insbesondere zum Zwecke der Widerlegung") ist die zentrale Technik der sokratischen Methode. Die lateinische Form elenchus (Plural elenchi) wird als philosophischer Fachbegriff verwendet und war in Platons frühen Dialogen von großer Bedeutung.
Platon ist berühmt dafür, das er den sokratischen, elenischen Stil - Sokrates als neugierigen Fragesteller eines prominenten athenischen Gesprächspartners - in einigen seiner frühen Dialoge wie "Euthyphro" und "Ion" formalisierte. Die Methode findet sich am häufigsten in den so genannten „sokratischen Dialogen“, in denen Sokrates im Allgemeinen die Methode anwendet und seine Mitbürger zu moralischen und erkenntnistheoretischen Fragen befragt.
In seinen späteren Dialogen, wie dem Theaetetus oder dem Sophisten, verfolgte Platon jedoch eine andere Methode der philosophischen Diskussion, nämlich die Dialektik.
Der Sokrates, wie in Platon darstellt, benutzte die Methode nur selten, um tatsächlich konsistente Theorien zu entwickeln, und er machte sogar häufig Gebrauch von kreativen Mythen und Allegorien. Der Parmenides-Dialog zeigt, wie Parmenides die sokratische Methode anwendet, um die angeblichen Fehler in der platonischen Formenlehre, wie sie von Sokrates dargelegt wurde, aufzuzeigen; es ist nicht der einzige Dialog, in dem Theorien, die normalerweise von Platons Sokrates dargelegt werden, durch Dialektik zerlegt werden.
Anstatt Antworten zu finden, zerlegt die Methode die Theorien, die wir vertreten, um über die Axiome und Postulate, die wir für selbstverständlich halten, „hinauszugehen“. Die Allegorien und die sokratische Methode werden von Platon daher nicht als unvereinbar angesehen; sie verfolgen unterschiedliche Ziele und werden oft als „linke“ und „rechte“ Wege zum Guten und zur Weisheit bezeichnet.
Gelehrtengespräch
In Platons frühen Dialogen ist der Elenchus die Technik, die Sokrates anwendet, um zum Beispiel das Wesen oder die Definition ethischer Begriffe wie Gerechtigkeit oder Tugend zu untersuchen. der Prozess besteht aus folgenden Schritten:
- Sokrates' Gesprächspartner stellt eine These auf, zum Beispiel "Mut ist die Ausdauer der Seele".
- Sokrates entscheidet, ob die These falsch ist und ob sie widerlegt werden soll.
- Sokrates verschafft sich die Zustimmung seines Gesprächspartners zu weiteren Prämissen, z. B. „Mut ist eine schöne Sache“ und „Unwissende Ausdauer ist keine schöne Sache“.
- Sokrates argumentiert dann, und der Gesprächspartner stimmt zu, diese weiteren Prämissen implizieren das Gegenteil der ursprünglichen These; in diesem Fall führt das zu: „Mut ist keine Ausdauer der Seele“.
- Sokrates behauptet dann, er habe gezeigt, dass die These seines Gesprächspartners falsch und ihre Negation wahr sei.
Eine elenische Untersuchung kann zu einer neuen, verfeinerten Untersuchung des betrachteten Begriffs führen, in diesem Fall zu einer Untersuchung der Behauptung: „Mut ist weise Ausdauer der Seele“. Die meisten sokratischen Untersuchungen bestehen aus einer Reihe von elenchi und enden typischerweise in einer Verwirrung, die als Aporie bekannt ist.
Entwicklung
In der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. lehrten die Sophisten, wie Philosophie und Rhetorik eingesetzt werden können, um ein allgemeines Publikum von einem bestimmten Standpunkt zu überzeugen.
Die alternative Lehrmethode des Sokrates wurde als sokratische Methode bekannt. Der Legende nach begann Sokrates, solche Diskussionen mit anderen Athenern zu führen, nachdem sein Jugendfreund Chaerephon das Orakel in Delphi besucht und bestätigt hatte, dass niemand in Griechenland weiser sei als Sokrates. Sokrates hielt dies für ein Paradoxon und begann, die sokratische Methode anzuwenden, um das Rätsel zu lösen.
Sokrates auf dem Marktplatz
Vom historischen Sokrates wissen wir nur wenig. Er selber hat nichts geschrieben, zudem fallen die SokratesBilder der Zeitzeugen höchst unterschiedlich aus.
In Xenophons Erinnerungen ist er ein biederer Tugendwächter, in der Komödie des Aristophanes "Die Wolken" ist er ein OberSophist, der mit Hilfe spitzfingen Redens die gängigen Tugenden relativiert [schon in dieser 423 v. Chr. aufgeführten Komödie wurde Sokrates Gottlosigkeit und Verblendung der Jugend vorgehalten].
Platons akademisch gefilterte Darstellung dagegen verbindet beides miteinander: das Ziel eines guten, tugendhaften Lebens und die kritische Untersuchung lebenspraktischer Überzeugungen. Erst beides zusammen macht Sokrates philosophisch interessant. An seiner Philosophie kann man folgende Merkmale unterscheiden.
(1) Sie ist keine Lehre, sondern eine Tätigkeit des Philosophierens und hat als Ziel, Menschen zur kritischen Selbst und Welterkenntnis anzuregen und zu befähigen, damit sie ein besseres Leben führen können. In den platonischen Frühdialogen verwickelt Sokrates seine Unterredner in ein „Rechenschaftgeben“ über ihr Denken und Leben und bringt sie zum Eingeständnis ihres Nichtwissens. „Vorsicht Sokrates!“, warnt daher Nikias im Dialog Laches seinen MitUnterredner: „Du scheinst gar nicht zu wissen, dass, wer der Rede des Sokrates nahe genug kommt und sich mit ihm in ein Gespräch einlässt, unvermeidlich, auch wenn er zunächst von etwas ganz anderem angefangen hat zu reden, von diesem so lange in der Rede herumgeführt wird, bis er ihn dahin gebracht hat, dass er Rechenschaft geben muss (logon didonai) über sich selbst, auf welche Weise er jetzt lebt und wie er vorher gelebt hat.“
(2) Inhaltlich philosophiert Sokrates über Vorstellungen, die mehr oder weniger deutlich jeder hat. Jeder hat Vorstellungen zu lebenspraktischen Fragen wie gut und böse oder gerecht und ungerecht. Auch macht sich jeder Gedanken darüber, was er sich im Leben oder im Diesseits erhofft. Jeder hat außerdem eine ungefähre Vorstellung davon, was er als Mensch ist, etwa ein reines Vernunftwesen oder ein bloß triebhaftes Tier. Schließlich hat jeder eine bestimmte Art, wie er sich ein Wissen über derartige Fragen verschafft, aus dem Mythos, der Religion, der Wissenschaft oder dem gesunden Menschenverstand. Der Sache nach finden sich auch bei Sokrates alle vier von Kant genannten Grundfragen der theoretischen und der praktischen Philosophie: „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?“
(3) Sokrates verlässt sich bei seinem Philosophieren nicht allein auf sein eigenes Denken. Er hat zwar nicht selber philosophische Schriften verfasst, konnte aber lesen und schreiben und schätzte trotz seiner Schriftkritik im Phaidros die philosophischen Schriften anderer, wenn man sie nicht blind übernimmt, sondern als Anlass und Hilfe für sein eigenes Denken nutzt. Er las etwa in Privatlektüre die Schriften der Vorsokratiker im Phaidon und kritisierte sie, er las und diskutierte mit anderen zusammen die Rede des Lysias über die Liebe im Phaidros sowie Zenons Paradoxien über das Eine und Viele im Parmenides; auch profitiert er von seinen Logik und Semantikursen bei dem Sophisten Prodikos, den er nicht ohne Ironie als seinen Lehrer bezeichnet. Das sokratische Philosophieren ist nicht nur gegenüber den Meinungen der JedermannsPhilosophiere kritisch, sondern auch gegenüber der vorliegenden Gelehrsamkeit.
(4) Als SelbstDenker geht Sokrates Schritt für Schritt oder methodisch vor.
- Zunächst lässt Sokrates seine Unterredner beschreiben, von welchen Beispielen oder Phänomenen sie bei ihrer Frage ausgehen, mit der sie zu ihm kommen. So fragen ihn die Väter im Dialog Laches, ob ihre Söhne fechten lernen sollen und haben dabei bestimmte Situationen vor Augen. Er beginnt, so könnte man sagen, mit einer phänomenologischen Methode.
- Dann bringt Sokrates seine Unterredner dazu zu sagen, was sie selber zu ihrer Frage denken, wozu das Fechten gut sein solle, und was sie selber unter dem erhofften Ziel der Tapferkeit verstehen. Meistens sind die Unterredner des Sokrates von der damaligen Bildungsmacht, den Epen Homers beeinflusst und meinen, dass Tapferkeit ein DrauflosStürmen auf den Feind ist. Sokrates legt also in einem hermeneutischen Verfahren ihr Vorverständnis frei. Manchmal liest er auch zusammen mit anderen Texten.
- Anschließend fragt Sokrates nach, wie sie die verwendeten Begriffe genauer verstehen und ihre Meinungen begründen. Er philosophiert analytisch. Wegen seiner Analyse ethischer Begriffe schätzt ihn Aristoteles besonders.
- Dabei spitzt Sokrates die vorliegenden Meinungen dialektisch zu einem Austausch in einem Pro und Contra zu, er philosophiert dialektisch. Ist Tapferkeit ein DraufLosstürmen ohne Angst oder ein taktisches Überlegen, wie man am besten sein Ziel erreichen kann? Oder ist es beides, wie sich im Hintergrund als Idee oder Einsicht abzeichnet: eine Mischung von Affekten, als Überwindung der Angst, und von Überlegen, als Prüfung der taktischen Mittel und vor allem des Ziels des tapferen Handelns. Sind, so müsste man etwa weiterfragen, die Trojaner in Homers Ilias wirklich die Feinde der Griechen? Um welche Ziele geht es dabei und lassen sie sich rechtfertigen?
- Sokrates wendet auch eine hypothetische, experimentierende Methode an. So fragt er etwa im Dialog Charmides in Form eines Gedankenexperiments oder Traumszenarios nach dem Wert einer perfekten Wissensherrschaft von Sachverständigen: „Kein Arzt, Feldherr oder irgendein anderer würde uns verborgen bleiben, der etwas zu wissen vorgibt, was er in Wirklichkeit nicht weiß.“ Eine derartige Wissensherrschaft wäre, so kommt heraus, für ein gutes oder glückliches Leben zwar notwendig, aber nicht hinreichend. Wie bei der Tapferkeit kommt es auch beim Wissen auf das Ziel des Guten an. Zwar wäre es nützlich, Feldherren nicht einfach, wie damals üblich, durch Losverfahren zu bestimmen, sondern nach ihrem Sachverstand. Wozu aber ist ihr Sachverstand gut? Sicher, zum Krieg führen. Wozu aber ist es gut, Kriege zu führen?
Die genannten Methoden werden von Sokrates ohne ausdrückliche Reflexion angewendet. Nach dem Dresdner Philosophen Thomas Rentsch leiten sie sich, ohne dass er sich dabei auf Sokrates bezieht, aus einfachen Sprechhandlungen ab und gelten für die Philosophie generell: „Dem Verstehen und Fragen entspringt die Hermeneutik, dem Beschreiben die Phänomenologie, dem Streiten und Widersprechen die Dialektik, dem Nachfragen, Klären und Erläutern von Bedeutungen das Analysieren der Sprachanalyse.“ Zu ergänzen wäre das hypothetische Denken, das dem Phantasieren und Entwerfen von Möglichkeiten entspricht. Erst alle Methoden zusammen sind erkenntnisfördernd.
(5) Sokrates philosophiert zwar auch in einem kleinen Kreis von Freunden, vor allem in den vier „Sokrates Dialogen“ kurz vor seinem Tod (Euthyphron, Apologie, Kriton, Phaidon). In erster Linie aber suchte er die Öffentlichkeit an allen möglichen Orten auf, wie Xenophon als Zeitzeuge in seinen Erinnerungen an Sokrates berichtet: „Sein Leben spielte sich vor aller Augen ab. Morgens besuchte er die Wandelhallen und die Ringplätze; in den Stunden, da der Markt voller Leute war, konnte man ihn dort finden. Den übrigen Teil des Tages hielt er sich immer da auf, wo er erwarten konnte, die meisten Leute anzutreffen.“ Sokrates philosophiert in der Öffentlichkeit.
(6) Sokrates philosophiert in politischer Absicht, für die Öffentlichkeit der Polis. Er versteht seine kritische Prüfung der handlungsleitenden Überzeugungen seiner Zeit, worauf es im Leben des Einzelnen und der Polis ankommt, als notwendige Voraussetzung dafür, dass die Krisensituation seiner Zeit überwunden werden könnte: „Ich bin überzeugt, dass euch in der Polis noch nie eine größere Wohltat zuteil geworden ist.“ Nach dem verlorenen Krieg Athens gegen Sparta stritten sich die Parteien der sogenannten Demokraten und der SpartaAnhänger erbittert um die Macht. Die tragenden Grundwerte von Tapferkeit, Frömmigkeit oder Gerechtigkeit hatten längst ihre Geltung verloren. Die konservativen Kräfte versuchten sie dennoch zu bewahren, die Sophisten lehrten die Jugend, sie seien nichts als eine Sache geschickten Argumentierens, Sokrates dagegen verstand sich in seinem kritischen Philosophieren als den wahren Politiker, der die Grundlagen der Polis neu begründen wolle. Die Erfahrungen auf den Handlungsreisen der Griechen in andere Länder, die Kriegswirren und das aufkommende naturwissenschaftlichmathematische Denken hatten den mythologischen Denkrahmen Homers und die Macht der Götter infrage gestellt. Das rationale Denken der Vorsokratiker und speziell das methodische Denken eines Sokrates bildeten allmählich einen neuen Denkrahmen.
(7) Mit seinem Philosophieren für und in der Öffentlichkeit beginnt Sokrates bei sich selbst, mit seinem SelbstDenken und seinem tugendhaften, „täglich geprüften Leben“. Einige seiner Schüler nahmen sich das existenzielle Philosophieren des Sokrates zum Vorbild, etwa Antisthenes, Aristippos und später Epikur, auch sein glühender Verehrer Aischines. Sein berühmtester Schüler Platon dagegen zog sich in die Philosophie seiner Akademie zurück, wenn auch mit einem Blick auf die Öffentlichkeit. Andere Schüler schließlich wendeten sich völlig von der Philosophie des Sokrates ab, so der brutale Anführer der Spartahörigen Dreißig Tyrannen Kritias oder der schillernde Feldherr Alkibiades, der zu den Spartanern überlief. Unter anderem wurde Sokrates auch ihretwegen als ihr ehemaliger Lehrer zum Tode verurteilt. Er selber aber lehnte es ab, von irgendjemandem Lehrer zu sein. Wie seiner Mutter sei er lediglich Hebamme von Geburten, von guten oder schlechten, nicht deren Erzeuger. Das Selbstdenken kann einem kein anderer abnehmen.
Autor: Ekkehard Martens: Sokrates auf dem Marktplatz – Philosophie in der Öffentlichkeit heute
Quelle: Diese Rezension erschien unter www.information-philosophie.de (Editiert)