In der Philosophiedidaktik besteht der Konsens, dass im schulischen Unterricht methodenpluralistisch zu verfahren ist, denn nur so lässt sich das Philosophieren in seiner ganzen Breite sachadäquat vermitteln. Dieser Anspruch ist inzwischen auch curricular verankert.
Der philosophische Schulunterricht und die Belange der Fachdidaktik stehen in beiden großen Fachgesellschaften (DGPhil und GAP) auf der Tagesordnung.
An einem thematisch einseitigen oder anwendungsfernen Themenkatalog der Universitätsinstitute liegt es nicht, dass einige Philosophie- und Ethiklehrkräfte keinen rechten Zugriff auf philosophische Probleme haben und ihren Unterricht primär durch die – im besten Fall methodisch geschickt arrangierte – Erarbeitung von kanonischen Texten bestreiten.
Philosophiedidaktik und empirische Unterrichtsforschung
Das Verhältnis von Philosophiedidaktik und empirischer Unterrichtsforschung lässt sich mit Hilfe der Gesten des Platon und des Aristoteles in Raffaels Fresko „Die Schule von Aristoteles“ darstellen. Während Platon mit erhobenem Zeigefinger dazu anhält allgemeine Prinzipien und Ideale zu verfolgen, fordert Aristoteles mit ausgestreckter Hand dazu auf, die Fülle empirischer Daten nicht zu vernachlässigen.
Traditionell pflegt die Philosophiedidaktik einen analytischhermeneutischen Zugriff auf ihre Forschungs und Lehrgegenstände. Gegenwärtig wird aber die moderne Bildungsdebatte von nahezu ökonomischen Kriterien wie Outputorientierung und Effizienz geprägt und als Legitimationskriterium von Bildungsprozessen wird ausschließlich die empirische Unterrichtsforschung akzeptiert.
Wie soll die Philosophiedidaktik darauf reagieren? Soll sie das humboldtsche Bildungsideal stilisieren und empirische Forschungsmethoden generell zurückzuweisen? Sie würde es versäumen, zwischen dem Wert eines Gegenstandes und der Güte seiner Vermittlung zu differenzieren. Unbestritten ist der Wert des Philosophierens, nicht aber der des Philosophieunterrichts. Hat ein Gemeinwesen, das in die Bereitstellung von schulischer Bildung investiert, nicht das Recht zu erfragen, ob diese auch die gewünschten Effekte zeitigt? Der Einwand, die Philosophie sei für empirische Messmethoden unzugänglich, blendet erneut den Unterschied zwischen der reinen Wissenschaft und dem Bildungsprozess ihrer Vermittlung aus. Längst ist der Unterricht in anderen Geisteswissenschaften mit durchaus interessanten Ergebnissen evaluiert worden. Längst ist man dazu übergegangen, Indikatoren zu definieren, deren Registrierung das Eintreten der untersuchten Unterrichtseffekte wahrscheinlich macht. Zwar kann die Kultivierung von Urteilskraft mit empirischen Mess¬methoden weder verbindlich nachgewiesen noch bestritten werden – sehr wohl aber können Indikatoren registriert werden, die die Aneignung von Urteilskraft mehr oder weniger wahrscheinlich machen.
Jeder Philosophielehrer, der die Möglichkeit bestreitet, philosophische Kenntnisse und Kompetenzen bewerten zu können, begibt sich in die delikate Situation, den Prozess seiner eigenen Notenfindung rechtfertigen zu müssen. Jede Philosophieklausur erhebt den Anspruch, philosophische Fähigkeiten testen und beurteilen zu können. Auch vermittelt der Philosophieunterricht ein Fachwissen, das abgefragt werden kann. Eine pauschale Zurückweisung der empirischen Unterrichtsforschung stünde der Philosophiedidaktik daher schlecht zu Gesicht.
Empirische Studien zum Philosophieunterricht
Es geht nicht um die Wahl zwischen humanistischem Bildungsideal oder empirischer Unterrichtsforschung. Es geht um ein sowohl als auch, das möglich und praktisch realisierbar ist. Im wesentlichen geht es um die Vermittlung von Wissen, Können und Haltung. Wissen ist als Erwerb von Fach und Sachkenntnissen zu verstehen. Können steht für die Aneignung von Kompetenzen und das Beherrschen fachspezifischer Methoden und Techniken. Die Haltung repräsentiert die Aneignung eines philosophischen Ethos. Während die ersten beiden Kategorien, Wissen und Können, sich testen und bewerten lassen, bleibt die Haltung dem Prinzip Hoffnung überlassen. Gleichwohl könnte über den normativen Anspruch an den Philosophie und Ethikunterricht weitgehende Klarheit erzielt werden.
Anders verhält es sich mit der Frage, wie Philosophie von Schülerschaft und Gesellschaft aufgenommen wird, was Philosophieunterricht konkret zu leisten vermag und welche Methoden, Lernarrangements und Sozialformen dazu geeignet sind. Hier hat empirische Unterrichtsforschung ihren berechtigten Ort.
Seit jeher greifen Philosophiedidaktiker auf empirische Grundlagenforschung zurück. Untersuchungen wie die von Piaget, Kohlberg oder Milgram zählen nicht nur zu den Gegenständen des Philosophieunterrichts, sie waren auch Bezugspunkt, wenn über die richtige Form des Philosophierens mit Kindern und Jugendlichen gestritten wurde. Selbiges gilt für die Shell Jugendstudien oder die PisaStudie. Forscherinnen und Forscher Barbara Born, Ulrich Gebhard, Reto Fetz oder Georg Lind haben Untersuchungen vorgelegt, die auch für Philosophiedidaktiker von Interesse sind. Und die Philosophiedidaktik selbst hat sich auf den Weg gemacht. Besondere Beachtung verdient nach wie vor der Schulversuch Praktische Philosophie, den das Land Nordrhein Westfalen in mehrjährigen Studien durch das pädagogischempirische Institut Koblenz Landau begleiten ließ und der eine in der Philosophiedidaktik noch nicht da gewesene Datenfülle sicherte. Weitere Studien folgten. Volker Steen¬block untersucht in einer umfangreichen Studie welchen Beitrag der Philosophieunterricht zur Lesekompetenz leisten kann. Die Universität Oldenburg hat ein interdisziplinäres Forschungsprojekt ins Leben gerufen, welches den Einfluss des Philosophierens mit Kindern auf die ethische Urteilskraft von Jugendlichen untersucht. Ich selbst habe den Einfluss des Philosophieunterrichts auf die ethische Orientierung von Jugendlichen analysiert. Daniela Camhy (Graz) hat die Auswirkungen des Philosophierens mit Kindern auf die Entstehung von Stereotypen und Vorurteilen untersucht. Eva Marsal (Karlsruhe) hat vergleichende Studien zu den Assoziationen und Argumenta¬tionen von japanischen und deutschen Kindern vorgelegt. Anita Rösch befragt Fachleiter danach, was diese als die Quellen, der von Ihnen erworbenen Kompetenzen ansehen. Hinzu kommt der reiche Schatz an empirisch ausgerichteten Staatsexamensarbeiten, die in den Studienseminaren der Bundesländer schlummern.
Dennoch: Auf der Ebene der empirischen Effizienzforschung steckt die Philosophiedidaktik noch in den Kinderschuhen. Auch das Vorzeigeprojekt, die empirische Begleitung des Schulversuches Praktische Philosophie hat vor allem die Akzeptanz, nicht aber die Effizienz des neuen Unterrichtsfaches gemessen. Der im Folgenden dargestellte Unterrichtsversuch kann daher als Pionierarbeit verstanden werden.
Beispiel einer empirischen Untersuchung
Ziel dieser Untersuchung war zum einen die Erhebung der philosophischen Qualität des Unterrichtsprozesses. Gemessen wurde diese an der Realisierung philosophischer Methoden. Zum anderen wurde die Effizienz des Unterrichtes bezüglich seiner Auswirkung auf die Kenntnisse, die Problembezüge und die Urteilskraft der Schülerinnen und Schüler untersucht. Das quantitative Versuchsdesign entsprach einer klassischen PrePostMessung.
Der Versuchsaufbau
Um ein Minimum an Repräsentativität zu gewährleisten, wurden drei Gruppen am Versuch beteiligt. Zwei Lerngruppen bildeten die eigentlichen Versuchsgruppen, die dritte diente als Kontrollgruppe und wurde ohne einen entsprechenden Unterricht getestet.
Gemessen wurde die Effizienz des Unterrichtes durch den Vergleich von Testergebnissen jeweils zu Beginn und am Ende der Unterrichtseinheit. Beiden Versuchsgruppen wurde der Fragebogen mit offenem Antwortformat unangekündigt vorgelegt. Anschließend durchliefen beide Versuchsgruppen die Unterrichtseinheit um abschließend mit demselben Fragebogen noch einmal konfrontiert zu werden. Keine der beiden Versuchsgruppen wusste, dass sie denselben Test noch einmal würde bearbeiten müssen. Durch den Vergleich beider Testergebnisse sowie die Analyse der Unterrichtsbeiträge sollten Veränderungen in Kenntnissen, Fähigkeiten und Haltungen der Schülerinnen und Schüler festgestellt werden. Um auszuschließen, dass die festgestellten Veränderungen allein auf die allgemeine Entwicklung der Schülerinnen und Schüler oder die Einflüsse anderer Fächer zurückzuführen sind, wurde die Kontrollgruppe hinzugezogen. Dieser wurde zu dem Zeitpunkt, an dem die beiden Versuchsgruppen den Fragebogen zum zweiten Mal bearbeiteten, der Test erstmals vorgelegt, ohne dass ein entsprechender Unterricht durchgeführt worden war. Die Erhebungen fanden jeweils in derselben Woche in den regulären Ethikstunden der Klassen statt. Der maximale Zeitabstand zwischen den Erhebungen betrug 3 Unterrichtstage.
Der Fragebogen
Kenntnisse
1. Was weißt du über die Arbeit von Genforschern? Woran arbeiten sie?
2. Erkläre bitte den Begriff Klonen!
3. Erkläre bitte den Begriff Stammzelle!
4. Erkläre bitte die Abkürzung PID!
5. Erkläre bitte den Begriff Genom!
6. Woher hast du deine Kenntnisse gewonnen?
Problembewusstsein
7. In diesem Teil geht es darum zu erfahren, was du von der weiteren Entwicklung der Biotechnologie erwartest. Bitte unterteile deine Angaben in Ängste, Hoffnungen und Erwartungen.
Beurteilung
8. Sollte aus deiner Sicht die Forschung an menschlichen Embryonen verboten werden? Bitte begründe deine Meinung!
9. Bitte beurteile den folgenden Fall. Im Bundesstaat Texas (USA) möchte ein Elternpaar ihren an Knochenkrebs erkrankten Sohn klonen lassen. Der Klon soll das lebensrettende Knochenmark spenden und dann als normales Kind zusammen mit seinem geretteten Bruder in ihrer Familie aufwachsen. Würdest du diesem Vorgehen zustimmen? Bitte begründe deine Meinung.
Die Versuchsgruppen und die Auswertung
Drei Klassen der Gesamtschule Bergedorf waren im Rahmen des Faches Praktische Philosophie am Unterrichtsversuch beteiligt. Dadurch, dass es sich um eine Gesamtschule handelt, ließ sich die Wirkung des Faches auf Schüler und Schülerinnen mit unterschiedlichen intellektuellen und sozialen Fähigkeiten beobachten.
Die Bewertung der Durchführung des Unterrichtsprozesses stützte sich auf die Beobachtungen während des Unterrichts, auf schriftliche Leistungen der Schülerinnen und Schüler sowie Tonbandaufzeichnungen der Unterrichtsgespräche. Die Erfassung und Beurteilung der Effizienz der Unterrichtseinheit stützt sich auf den Vergleich der ersten und zweiten Fragebogenerhebung. Um die Ergebnisse der Fragebögen systematisch erheben zu können, wurde eine Tabelle mit den Spalten Kenntnisse, Problembezüge und Urteilskraft verwendet.
Auswertung
Bei der Auswertung des Unterrichtsversuchs wurde zwischen der Durchführung des Unterrichts als Prozess und der Effizienz der Unterrichtseinheit unterschieden. Die Bewertung des ersteren stützt sich auf die Beobachtungen während des Unterrichts, auf die schriftliche Leistungen sowie Tonbandaufzeichnungen der Unterrichtsgespräche. Die Erfassung und Beurteilung der Effizienz der Unterrichtseinheit stützt sich auf den Vergleich der ersten und zweiten Fragebogenerhebung. Hierfür war ein deutlich umfangreicheres Instrumentarium erforderlich. Um die Ergebnisse der Fragebögen systematisch er
Ergebnisse in der Versuchsgruppe 1
Kenntnisse Problembezüge Urteilskraft
Anzahl der richtigen Antworten Genauig
keit
14 Quelle
(Nach Anzahl der Angaben) Ängste Erwartungen Hoffnungen Davon irratinal
Differen
ziertheit
1 – 4 Konsistenz
1 – 4 Begriffliche
Genauigkeit
1 – 4
Erste
Messung 1,7 1,76 TV
Zeitung Eltern 1 0,76 0,94 0,12 1,59 1,59 1,76
Zweite
Messung 4,9 3,05 Schule
TV
Zeitung 3,11 1,76 1,65 0,06 2,88 2,88 3,11
Ver
änderungen +
3,2 + 1,29 Schule
TV
Zeitung + 2,11 +
1 + 0,61 0,06 + 1,29 + 1,29 +
1,35
heben zu können, wurde eine Tabelle mit den Spalten Kenntnisse, Problembezüge und Urteilskraft verwendet. In der Spalte Kenntnisse wurde die Anzahl der richtigen Antworten auf die Fragen eins bis fünf, sowie deren Genauigkeit auf einer Skala von 1 bis 4 festgehalten. Weiterhin wurden die von den Schülerinnen und Schülern angegebenen Informationsquellen dokumentiert. In der Spalte Problembezüge wurde die Anzahl der, mit dem Unterrichtsgegenstand verbundenen Ängste, Erwartungen und Hoffnungen notiert. Darüber hinaus wurde vermerkt, wie viele dieser Aussagen als irrational bezeichnet werden können. Irrational meint hier logisch widersprüchlich und medizinischtechnisch unbegründet bzw. nicht realisierbar. In der Spalte Urteilskraft schließlich, wird die im dritten Teil des Fragebogens vorgetragene Argumentation nach Differenziertheit, Konsistenz und begrifflicher Schärfe, jeweils auf einer Skala von 1 bis 4 bewertet.
Um den Grad der Objektivität bei der Beurteilung der Schülerantworten zu überprüfen, wurden alle Messergebnisse von zwei Gutachern getrennt bewertet. Der Grad der Übereinstimmung beider Gutachter wurde an je vier Schülerarbeiten aus jeder Messung überprüft. Die Auswahl der Arbeiten erfolgte nach dem Zufallsprinzip. Wäre es zu einer starken Abweichung in der Beurteilung der Gutachter gekommen, so hätten die erfassten Daten ihre Aussagekraft verloren. Es erschien zudem sinnvoll, diese Überprüfung nicht nur einmalig, sondern in jeder Versuchsgruppe und jeder Messung durchzuführen. Es war zu erwarten, dass eine objektive Beurteilung mit steigender Komplexität der Antworten immer schwieriger werden würde. In den ersten Testergebnissen fanden sich sehr oft keine oder offenkundig falsche Antworten, während die Antworten im zweiten Test ein besseres sachliches und argumentatives Niveau besaßen. Aus diesem Grund wurden auch die Testergebnisse am Ende der Unterrichtseinheit dem Zweitgutachter vorgelegt.
Eine vergleichbare Differenz wurde aufgrund der unterschiedlichen intellektuellen Beschaffenheiten der Versuchsgruppen vermutet, weshalb ein Zweitgutachter auch für die Beurteilung jeder Versuchsgruppe herangezogen wurde. Die Beobachterübereinstimmung erwies sich als sehr hoch. Beurteilung der sachlichen Richtigkeit lag bei den Fragen 1 bis 5 stets bei hundert Prozent. Die Abweichungen in anderen Kategorien war nie größer als einen Punkt auf der Skala von 1 bis 4 (75%).
Ergebnisse
In beiden Versuchsgruppen ist neben der reinen Vermittlung von Sachkenntnissen eine deutliche Steigerung der Problembezüge und der formalen Urteilskraft zu verzeichnen. Durch die tabellarische Auswertung wird eine deutliche Steigerung in den Bereichen Problembewusstsein und Urteilskraft dokumentiert. Diese trifft auch auf die Kategorie Kenntnisse zu.
Ins Auge fällt der gravierende Wandel in der Hierarchie der Informationsquellen. Die Schule, die noch bei der ersten Messung kaum Erwähnung fand, wird nun als vorrangige Informationsquelle genannt. Auffallend ist die rückläufige Bedeutung des Fernsehens: In der Versuchsgruppe 1 sinkt die Bedeutung des Fernsehens als Informationsquelle um den Faktor 3 und in der Versuchsgruppe 2 sogar um den Faktor 8. Was die Steigerung der Problembezüge betrifft, so ist der Zuwachs der mit dem Unterrichtsgegen¬stand verbundenen Ängste, Erwartungen und Hoffnungen relativ hoch. Die artikulierten Ängste stiegen um den Faktor 2,11 in der Klasse 9f bzw. 1,23 in der Klasse 9a an. Bei den Erwartungen kam in beiden Versuchsgruppe ein Wert von 1,0 hinzu, während in der Kategorie Hoffnungen ein Zuwachs von 0,61 bzw. 0,54 zu bezeichnen ist. Bemerkenswert ist, dass die Anzahl der als irrational bewerteten Angaben auf niedrigem Niveau stagniert, obwohl die größten Zuwächse unter die Kategorie „Ängste“ fallen. Offensichtlich verbinden die Schülerinnen und Schüler den Unterrichtsgegenstand mit einer stark gestiegenen Anzahl potenzieller Entwicklungen, ohne dabei irrationalen Vorstellungen zu erliegen.
Ein ähnlich positives Bild zeigt sich im Bereich der Urteilskraft. In beiden Versuchsgruppen konnten deutliche Steigerungen in den Bereichen Differenziertheit, Konsistenz und sprachliche Genauigkeit erzielt werden. Die Steigerungen liegen zwischen 0,92 und 1,35.
Obwohl die beiden Versuchsgruppen sich auf unterschiedlichem sprachlichem und intellektuellem Niveau befinden, wird in allen Bereichen ein vergleichbarer Zuwachs erzielt. Die Frage, ob eine Beschulung in Praktischer Philosophie in Lerngruppen mit unterschiedlichen Leistungsniveaus gleichermaßen sinnvoll ist, wird durch die Ergebnisse des Unterrichtsversuchs eindeutig positiv beantwortet.
Die genannten Veränderungen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Unterrichtseinheit zurückzuführen, da die Ergebnisse der Kontrollgruppe den Resultaten der Versuchsgruppen bei der ersten Erhebung entsprechen.
Fazit: Auf der Grundlage des Unterrichtsversuches lässt sich daher annehmen, dass der Unterricht im Fach Praktische Philosophie geeignet ist, die Sachkenntnisse, vor allem aber die Problembezüge und die Urteilskraft einer Lerngruppe, unabhängig von deren Leistungsniveau, deutlich zu verbessern
Kritische Anmerkungen
Der hier dargestellte Unterrichtsversuch mag zeigen, dass die Philosophiedidaktik von der empirischen Unterrichtsforschung zu profitieren vermag. Insbesondere die Effizienzmessung kann helfen den Ertrag des Philosophieunterrichtes zu erfassen. Selbstkritisch sei allerdings angemerkt, dass die Anzahl von zwei Probandengruppen und einer Kontrollgruppe eine nur echt dünne Argumentationsgrundlage bieten. Eine umfangreichere Wiederholung vergleichbarer Studien wäre wünschenswert. Zudem könnte eingewendet werden, dass die Identität des Pre und des Posttestes, die Aussagekraft der erzielten Verbesserungen relativiert. Mit Blick auf die Kategorie „Kenntnisse“ ist dies zweifelsohne richtig, zumal die entsprechenden naturwissenschaftlichen Fakten explizit im Unterricht besprochen wurden. Auf die Kategorien „Problembezüge“ und „Urteilskraft“ trifft der Einwand allerdings nicht zu, da diese Bereiche des Testbogens zu keinem Zeitpunkt der Unterrichtseinheit besprochen wurden. Dennoch hatte sich das Profil der angegebenen Problembezüge und die inhaltliche und formale Bewertung der Entscheidungsfrage messbar verändert. Was die Untersuchung der Langzeitwirkung und der Übertragbarkeit erworbener Kompetenzen auf andere Problemfelder betrifft, so sei erwähnt, dass die beiden Versuchsgruppen nach vier Monaten aufgefordert wurden, unvorbereitet zum Thema Todesstrafe schriftlich Stellung zu beziehen. Die dort gezeigte Urteilskraft wurde nach den Kriterien des Unterrichtsversuchs analysiert. Die durchschnittlichen Ergebnisse lagen nur wenig unter den Werten der zweiten Testung. Allerdings standen weder ein Zweitgutachter noch eine Vergleichsgruppe zur Verfügung.
Raffaels „Die Schule von Athen“ bleibt ein attraktives Sinnbild. Traditionelle Philosophiedidaktik und empirische Unterrichtsforschung, in Gestalt von Platon und Aristoteles, bringen ihre unterschiedlichen Ansätze durch eindeutige Gesten zum Ausdruck, ihre Blicke allerdings bleiben einander zugewandt. Während Sokrates noch diskutiert, hat Pythagoras bereits mit Begeisterung begonnen, Zahlen zu notieren. Euklid entwirft eifrig ein erstes Versuchsdesign. Diogenes und Heraklit indes begegnen den empirischen Neuerungen mit der notwendigen Gelassenheit. Während Diogenes erste Vorschläge betrachtet, stellt Heraklit nüchtern fest, dass alles im Fluss sei, eben auch die Philosophiedidaktik.
UNSER AUTOR:
Markus Tiedemann ist promovierter Philosophiedidaktiker und arbeitet gegenwärtig an einer systematischen Erfassung der bisherigen empirischen Forschungsprojekte zur Philosophiedidaktik, sowie einer kritischen Bewertung der verwendeten Methoden und der gewonnenen Resultate. Von ihm ist zum Thema erschienen:
Ethische Orientierung für Jugendliche. Eine theoretische und empirische Untersuchung zu den Möglichkeiten der praktischen Philosophie als Unterrichtsfach in der Sekundarstufe I. 256 S., kt., € 17.90, 2004, Philosophie und Bildung, Band 2, Lit, Münster.
Quelle: Diese Rezension erschien unter www.information-philosophie.de (Editiert)
Herausforderungen an die Didaktik. Rückblick einer Fachdidaktikerin.
Zur Zeit meines Studiums in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre gab es noch keine Fachdidaktik an den Hochschulen. Das lag zum einen daran, dass Philosophie noch kein ordentliches Unterrichtsfach war – das wurde sie erst durch die KMK-Vereinbarung 1972 – und zum anderen daran, dass es generell für alle Fächer noch keine Fachdidaktiken an den Hochschulen gab. Beides wollten wir ändern, „wir“ sind die Philosophielehrer/innen und -Didaktiker/innen der 70er Jahre, die sich rückblickend als die Gründer-Generation versteht. Es gab schon frühere Bestrebungen im Umkreis des Fachverbandes Philosophie, der damals noch den Titel „Verein zur Förderung der Philosophie am deutschen Gymnasium“ trug. Uns lag daran, das Fach Philosophie aus dem Nischendasein herauszuholen und regulär in den Institutionen zu etablieren, damit ihr Potential für Bildungsprozesse sich umfassender und gründlicher entfalten kann.
Anstöße zu diesem Nicht-Hinnehmen unbefriedigender Bedingungen für die Philosophie mögen unter anderem in der Studentenbewegung gelegen haben, die unser gesellschaftskritisches Bewusstsein geweckt hatte und in deren Folge ja auch sonst viele Reform-Bemühungen im Bildungs- und Ausbildungsbereich entstanden. Adornos „Erziehung zur Mündigkeit“ könnte hier bis heute viele Fingerzeige geben. Für mich selber kam Mitte der 70er Jahre die Bekanntschaft mit der auf Leonard Nelson zurückgehenden Philosophisch-Politischen Akademie dazu, in der ich damals noch eine Reihe widerständiger Zeitzeugen kennenlernen konnte und in deren Umfeld Gustav Heckmann die neosokratische Methode für die Lehrerbildung weiterentwickelt hatte. Diese Wachsamkeit für das, was in der jeweiligen Gegenwart nicht in Ordnung ist, war Impuls und Auftrag auch für das Feld der Philosophie-Didaktik, und unseren Studierenden habe ich entgegen einem verbreiteten Fatalismus immer etwas von diesem Impetus gewünscht: Man kann doch etwas machen und muss zumindest versuchen, etwas in Richtung auf vernünftigere Verhältnisse zu verändern. Etwas ist viel mehr als Nichts.
Begründung für Philosophie und Ethik als Schulfächer
Warum soll nun Philosophie – und der sogenannte Ethik-Unterricht, der philosophisch fundiert ist, sei inbegriffen – als ordentliches Unterrichtsfach an den Schulen verankert sein? Dafür gibt es verschiedene Gründe:
1) Das Kulturgutargument. Die Philosophie enthält einen Traditionsbestand, der es wert ist, weitergegeben zu werden, unbeschadet dessen, dass ein Kanon immer strittig bleiben wird. Platons Höhlengleichnis, Protagoras homo-mensura-Satz, die Kopernikanische Wende, Kants „sapere aude“ und sein Kategorischer Imperativ, Marx elfte Feuerbachthese und vieles andere mehr gehören zur Allgemeinbildung und werden weder in den Schulen ausreichend durch andere Fächer vermittelt noch im Studium wie früher zumindest partiell durch das allgemeinverbindliche „Philosophicum“. Auch die philosophische Vertiefung der Fächer ist fast völlig verschwunden. Nur ein eigener Ort im Fächerkanon (incl. Rahmenrichtlinien) und eine eigene Zeit im Stundenplan können hier wirksam entgegenwirken. Dies gilt erst recht auf dem Hintergrund der weithin szientistischen und technologischen Ausrichtung nicht nur der Wissenschaft, sondern auch des öffentlichen Lebens und insbesondere seiner Verwaltung. Evidentermaßen galt dies nach der Wende für die neuen Bundesländer in besonderem Maße. Freilich geht es nicht nur um einen Bestand, sondern wir müssen uns unsere „Schatztruhe“ der philosophischen Tradition zunutze machen; sie aufschließen und Stück für Stück in lebendiges Denken einholen, indem wir die Texte wie Dialogpartner behandeln.
2) Philosophieren als Kulturtechnik – oder das Sokratische Argument. Entscheidend ist das selbständige Denken. Die Überzeugung, dass nicht Philosophie, sondern Philosophieren zu lernen ist, verbindet die Aufklärer Sokrates, Kant und L. Nelson. Es beginnt mit den je eigenen Fragen, hinter denen letztlich die Grundfragen des Menschseins verborgen sind, wie sie sich auch in Kants „Philosophie nach dem Weltbegriff“ und seinen vier Fragen spiegeln. Diesen ureigenen Frageimpuls in jedem Menschen gilt es durch den Philosophie- und Ethik-Unterricht freizulegen und zu fördern, zu kultivieren. Selbständiges Denken ist nicht mit unverbindlichem Gerede zu verwechseln, vielmehr der kritischen Prüfung auszusetzen. Durch das Einüben von Diskursen, an die begriffliche Klarheit, aussagenlogische Stringenz und argumentative Triftigkeit als Maßstäbe angelegt werden, werden Dispositionen geschaffen, die den Schüler/innen gewissermaßen ein Handwerkszeug für ihre eigene künftige Auseinandersetzung mit Problemen unterschiedlichster Art geben, inhaltlich einen Argumentationsvorrat und methodisch ein „Wissen wie“ der Gedankenarbeit. Dies ist die Qualifikations- oder, wie es heute heißt, Kompetenz-Ebene; allerdings sollte weniger das Ergebnis als der Prozess von Bedeutung sein.
3) Das Bildungsargument. Im Hinblick auf das Subjekt tragen Wissen und Können zur Persönlichkeitsbildung bei. Leitidee ist der mündige Mensch, der eigenständig begründete Urteile (nicht nur im Bereich von Moral und Ethik) fällen kann, Kriterien, aber auch menschliches Einfühlungsvermögen bei Situationsbeurteilungen besitzt und der Zusammenhänge herstellen kann und so auch fähig und bereit wird, Verantwortung zu übernehmen und sich ggf. zivilgesellschaftlich zu engagieren. Philosophische Bildung, Allgemeinbildung, Persönlichkeitsbildung und politische Bildung fließen in dieser dritten Begründung für den Philosophie- und Ethik-Unterricht zusammen, wobei ich einen modernen und umfassenden Bildungsbegriff (ähnlich wie bei Klafki) zugrundelege. Für die Gegenwart habe ich große Sorge, dass durch die Modularisierung und ihre Begleiterscheinungen dieser Bildungssinn des Faches wie des Studiums völlig aus dem Bewusstsein sowohl der Studierenden wie der Entscheidungsträger verlorengeht und die Universität sich zur bloßen Ausbildungs-Institution instrumentalisieren lässt.
4) Das Orientierungsargument. Dies bezieht sich vorrangig auf den sogenannten Ethik-Unterricht, der seit Ende der 70er Jahre diskutiert und erst ganz allmählich in allen Bundesländern eingerichtet wurde, mit vielen Namens-Varianten. Warum Ethik-Unterricht an der Schule? Die Gesellschaft braucht den ethischen Minimalkonsens, der sie unterhalb der Rechts- und Verfassungsebene zusammenhält, und die Kinder und Jugendlichen brauchen eine weltanschauliche Orientierung, ohne die kein Mensch existieren kann, ohne seine psychische Gesundheit und Identität zu verlieren. Beide Aufgaben hatte bislang de facto der christliche Religionsunterricht erfüllt. Aufgrund von Säkularisierungsprozessen, aber auch von Migrationsprozessen, die eine Vielfalt von Religionen mit sich brachten, und schließlich der politischen Wende von 1989 entstand für diese beiden Aufgaben ein Vakuum, das der Ethik-Unterricht füllen sollte. Dafür wurden unterschiedliche Konzepte diskutiert. Von philosophischer Seite gab es zunächst Zurückhaltung, um Philosophie nicht in den Geruch einer Weltanschauung oder gar Ideologie zu bringen. Andererseits forderte die Situation dazu heraus, das Potential der Philosophie in gesellschaftlicher Verantwortung zu nutzen. In dem Maße, in dem klar wurde, dass der Ethik-Unterricht kein Religions-Ersatz-Unterricht für Atheisten oder andere Nicht-Christen sein darf, sondern weltanschauliche Neutralität zu wahren hat, und dass auf der anderen Seite Philosophie keine Positions-, sondern eine Reflexionswissenschaft ist, konnte sich die Anbindung des Ethik-Unterrichts sowie der Ethik-Lehrer-Ausbildung an die universitäre Philosophie (unter Berücksichtigung interdisziplinärer Elemente) durchsetzen. Philosophisch lässt sich der ethische Minimalkonsens mit vernünftigen Gründen einsichtig machen. Für die Orientierung im Ethik-Unterricht kann die Philosophie einen doppelten Beitrag leisten, einen inhaltlichen, indem sie philosophische Ansätze, Denkmuster und Argumentationsmöglichkeiten anbietet, über die unvoreingenommen nachgedacht werden kann. Die Philosophie kann darüber hinaus einen methodischen Beitrag zur Orientierung leisten, indem sie für unterschiedliche Anschauungen (ggf. auch religiöse), die ja jeweils in ihrer Art und Weise auf die Grundfragen des Menschseins antworten, ein Gesprächs-Forum bietet. Ethik-Unterricht zielt nicht auf ein Bekenntnis, sondern dient der problemorientierten gedanklichen Auseinandersetzung und intendiert die begründete eigene Urteilsbildung sowohl in ethischen wie in weltanschaulichen Fragen. Ethik-Unterricht, dessen Name philosophisch betrachtet unglücklich gewählt ist, sich aber als Sammelbegriff eingebürgert hat, behandelt nicht nur Moral und Ethik, sondern nimmt die Grundfragen des Menschseins auf, die sich jedem Menschen stellen, thematisiert Probleme des Menschenbildes und des Weltbildes, erkenntnis- und sprachphilosophische Grundlagen und bezieht religionskundliche Elemente und religionsphilosophische Fragen ein.
Mit dieser Konzeption, die sich heute im wesentlichen in den Richtlinien aller Bundesländer wiederfindet, wurden die Anliegen anderer Konzeptionen in einen weiteren Rahmen gestellt und relativiert: Lebenshilfe-Konzepte stehen in der Gefahr, im Situativen hängenzubleiben und in einen der Schule nicht zukommenden Beratungsgestus zu verfallen. Moralerziehungskonzepte verharren bei einer Pädagogik des erhobenen Zeigefingers, ihre normativen Voraussetzungen werden verabsolutiert und ihre normative Didaktik steht im Widerspruch zur Förderung einer mündigen Persönlichkeit. Ähnlich immunisieren sich Werte-Vermittlungs-Konzepte gegen Kritik und vernachlässigen die Förderung der individuellen Urteilskraft. Aber auch die scheinbar neutrale Lektüre und Rezeption von Texten würde im untersten Anforderungsbereich steckenbleiben und möglicherweise sogar dem „morbus hermeneuticus“ verfallen, der die Texte oder deren Autoren verehrt, statt sie zu verarbeiten. Das gedankliche Angebot eines Textes ist in einen eigenen Denkprozess und schließlich das Gespräch miteinander in die Lerngruppe hinein zu verlebendigen.
5) Ein berufspolitisches Argument. Durch die Einrichtung von Philosophie- und Ethik-Unterricht hat sich als Folgewirkung erfreulicherweise ein bis dato nicht gegebenes Berufsfeld für ausgebildete Philosophen erschlossen. Aber auch wenn das Fach Philosophie und die Philosophie-/Ethik-Didaktik enger verknüpft sind als in anderen Fächern, sollte man nicht meinen, dass die fachdidaktische Ausbildung dabei verzichtbar wäre (wie es die Propagierung des „Quereinsteigertums“ nahezulegen scheint). Für den Schulunterricht und seine didaktische Reflexion sind Kompetenzen erforderlich, die man sich nicht anlesen kann, sondern die sich dadurch entwickeln, dass man sich eigenverantwortlich der Unterrichtspraxis aussetzt und diese reflektiert, im Dialog mit erfahrenen Praktikern, der fachdidaktischen Theorie, aber ebenso mit der Schulwirklichkeit, also einem „Zwischenfeld“. Warum sollte in einer Gesellschaft, in der alles Fortkommen auf Ausbildung und Zertifikaten basiert, ausgerechnet für die komplexe Aufgabe des Philosophie-/Ethik-Lehrers bzw. der -Lehrerin und erst recht der Didaktiker kein „Führerschein“ erforderlich sein?
Soviel zur Begründung der Fächer Philosophie und Ethik an der Schule.
Die Entwicklung einer professionellen Fachdidaktik „Philosophie“
Die grundsätzliche Anerkennung als Fach war ein entscheidender Fortschritt. Praktisch konnte damit erst die Aufbauarbeit beginnen und, dieser vorgelagert, die Überzeugungsarbeit in den verschiedenen Institutionen und bei unterschiedlichen Gesprächspartnern. Zu den Schritt für Schritt zu erarbeitenden Bedingungen für ein ordentliches Unterrichtsfach gehörten Curricula für den Schulunterricht, dann Rahmenrichtlinien (ich habe insgesamt dreimal in solchen Kommissionen mitgearbeitet, in Hannover, in Berlin und in Halle) sowie Materialien und Schulbücher. Das Konzept, dass wir mit Ekkehard Martens, Ute Siebert u. a. beim Schroedel Verlag entwickelten, halte ich für das der Philosophie angemessenste, weil es mit dem im Textbuch integrierten Arbeitsteil schon zum Ausdruck bringt, dass das Ziel das gleichberechtigte philosophische Gespräch mit den Schüler/innen ist. Aus diesem Kontext entstand 1979 die ‚Zeitschrift für Didaktik der Philosophie‘ (ab 1993 „Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik‘), die bis heute vierteljährlich erscheint, erst im Schroedel Verlag und dann im Verlag Joachim Siebert. Es folgte die Zeitschrift „Ethik & Unterricht“ im Friedrich Verlag sowie seit 2000 das von Johannes Rohbeck herausgegebene „Jahrbuch für Didaktik der Philosophie und Ethik“. Es entwickelte sich eine professionelle Fachdidaktik mit vielen weiteren Veröffentlichungen, wozu inzwischen auch Dissertationen gehören (z. B. von Klaus Draken). Wesentlich für ein ordentliches Schulfach ist sodann die Lehrerbildung. In Ermangelung von Lehrer/innen mit Fakultas konzentrierten wir uns anfangs auf die berufsbegleitende Weiterbildung und ergänzende Fortbildungen, sowie, von unten aufbauend, auf die Lehramtsstudiengänge an den Hochschulen, im Fach Ethik in Sachsen-Anhalt für alle Schulformen.
Manche institutionellen Klippen, aber auch soziale Hindernisse und menschliches Unverständnis waren in dieser Aufbauarbeit zu überwinden. Auch aus diesem Grunde ist übrigens die Arbeit der Fachverbände, deren Einrichtung ja eine demokratische Errungenschaft ist, sehr wichtig, und ebenso das Forum Fachdidaktik als Zusammenschluss der Hochschul-Didaktiker unserer beiden Fächer, angebunden an die Deutsche Gesellschaft für Philosophie. – Die Einrichtung von Fachseminaren für die Referendarausbildung hat bis heute bedauerlicherweise immer noch keinen normalen Stand erreicht.
Im Zuge der Professionalisierung der Fachdidaktik wurde ein Konsens dahingehend entwickelt, dass weder die Philosophie als Geschichte noch die Philosophie als systematische Wissenschaft noch bestimmte philosophische Richtungen oder Schulen im Schulunterricht abzubilden sind – das Verhältnis von Philosophie und ihrer Didaktik ist wesentlich komplexer.
Ich bin überzeugt, dass wir mit dem Anspruch, dass Philosophie-Unterricht auch in die Schule gehört, zu einer Erweiterung des Selbstverständnisses auch der universitären Philosophie beigetragen haben – zum einen ist wieder ins Bewusstsein gerückt, dass ihre Fragen und Probleme aus der Lebenswelt und ihren Schwierigkeiten erwachsen sind. Heute erscheint dies beinahe als selbstverständlich, aber in den Annalen des Fachverbandes Philosophie lässt sich nachlesen, welchen Aufruhr sein Begründer Erwin Lebec (wohl 1970) bei den Fachphilosophen verursachte, als er in einem Vortrag für den Philosophie-Unterricht an der Schule die lebensweltlichen Bezüge einklagte. Dabei ist im Eingehen auf die Lebenswelt der Schüler/ innen heutzutage eine große Vielfalt von Varianten vorstellbar und praktiziert, woran man die Spanne von 40 Jahren Professionalisierung der Fachdidaktik erahnen kann.
Der andere Beitrag der Fachdidaktik zum Selbstverständnis der Philosophie ist die Wiederbelebung des Philosophierens im Dialog. Der genuine Ort des Philosophierens ist das mündliche Gespräch (nach gegenwärtigem Verständnis mit grundsätzlich gleichberechtigten Gesprächspartnern), das nicht durch eine vorgegebene Lehre bestimmt ist, sondern durch die Maieutik, die (gegenseitige) Hilfe zum Hervorbringen der je eigenen Gedanken des Gesprächspartners und im Anschluss daran durch das Bemühen um Klarheit und die kritische Prüfung im Aufeinanderhören. Im Sokratischen Gespräch werden nicht fertige Theorien oder Gedanken „vermittelt“ (das wäre „Trichterdidaktik“, deduktiv und belehrend), sondern es werden gemäß dem Logos-Grundsatz gemeinsam Gedanken auf ihren Gültigkeitsanspruch hin geprüft. Dabei steht nicht nur die Sache, sondern auch die Person auf dem Spiel. Das Rechenschaft-Geben (logon didonai) ist die Ur-Situation des Philosophierens, die Ekkehard Martens als Lehr-Lern-Situation beschreibt, die in sich didaktisch verfasst ist – die bekannte Konstituierungsthese. Ich halte diese These für die Urbegründung der Fachdidaktik und ich habe sie in meinem Buch (Raupach-Strey, Gisela: Sokratische Didaktik. Die didaktische Bedeutung der Sokratischen Methode in der Tradition von Leonard Nelson und Gustav Heckmann, 2.Aufl. Münster 2012) als Einheit mehrerer Dimensionen ausgelegt: als Konstitution der Unterrichtsgegenstände, als Konstitution der Lernprozesse und als Konstitution der Lerngemeinschaft inklusive einer spezifischen Lehrerrolle.
Kein asymmetrisches Vorbild-Nachbildungs-Verhältnis, vielmehr das „Zwischen“ von Menschen und Sachen lässt die Unterrichtsgegenstände, die Lernprozesse und die Lerngemeinschaft erst entstehen. Dies stellt einen eigenständigen Anspruch der Fachdidaktik dar, sie steht im Gegensatz zu den verkürzten Vorstellungen bloßer fachorientierter Abbild- oder Anwendungs-Didaktik auf der einen Seite und auf der anderen Seite den verkürzten Vorstellungen bloßer Vermittlungsdidaktik oder der Reduktion der Didaktik auf Methodik, gar auf die methodische Trickkiste, wie sie uns ja oft entgegengetragen wird. Probleme stehen im Mittelpunkt des Unterrichts; die spezifische didaktische Möglichkeit des Philosophie-Unterrichts liegt im Gespräch, womit allerdings ein anspruchsvolles, eminent sorgfältiges und verbindliches Miteinander-Sprechen gemeint ist, wie es insbesondere in der Nelson/Heckmann-Tradition Sokratischer Gespräche ausgeprägt wurde. Diese Konzeption zielt auf eigene, begründete Urteilsbildung, die durch den Gesprächsprozess in der Lerngruppe angeregt, unterstützt und gegebenenfalls korrigiert wird. Sie kann im textfreien, aber auch im textbezogenen Gespräch und/oder durch eine Vielfalt anderer Medien initiiert werden. Ich nenne dies das sokratisch orientierte Reflexionsmodell. Als Nachdenklichkeitsmodell hat sich diese fachdidaktische Ausrichtung heute weithin in der Lehrerbildung der Fächer Philosophie und Ethik in der Bundesrepublik etabliert.
Die Fachdidaktik an den Hochschulen
Zu einem ordentlichen Unterrichtsfach gehört - mit Recht - die wissenschaftliche Ausbildung der Lehrenden. Unter den Hochschullehrern der Philosophie, die damit vor eine neue Aufgabe gestellt wurden, trafen wir auf manche Skepsis gegenüber dem Schulfach Philosophie (und später der Ethik), die Ekkehard Martens mit den Stichworten der Überflüssigkeit, der Nachträglichkeit und der Schädlichkeit zusammengefasst hat. Man zog sich gerne auf die Nicht-Lehrbarkeits-These zurück, der de facto ein esoterisches und kein exoterisches Philosophie-Verständnis zugrundelag. Prima facie ist die Akzeptanz der Fachdidaktik an den Hochschulen heutzutage deutlich besser und scheint formell als notwendige Bedingung der Lehrerausbildung gegeben. Aber immer noch kann man nicht ernsthaft behaupten, dass die Fachdidaktik am Lernort Hochschule von einem selbstverständlichen Konsens getragen sei, was sich auch strukturell auswirkt. Sie wird von den einen offen oder insgeheim als unnötige Zeitvergeudung betrachtet (evtl. gar mit dem Argument, dass die Philosophie in ihrer Allzuständigkeit die Didaktik schon umfasse) oder als eine unangemessene Verwissenschaftlichung der pädagogischen Seite der Lehramtsausbildung. Umgekehrt werden von anderen zuweilen überhöhte Erwartungen besonders an die Praktika hinsichtlich des „Unterrichten-Lernens“ gestellt, für das ja die folgende Phase des Referendariats erst bestimmt ist.
Die Fachdidaktik an der Hochschule ist weder überflüssig noch Unterrichtstraining, ihre Einbeziehung in das Studium ist grundsätzlich eine Errungenschaft, macht sie doch deutlich, dass das Fachstudium wohl eine unabdingbare Voraussetzung für den Lehrberuf ist, aber keineswegs die einzige. Es ist etwas anderes, ob man einen Bachelor oder Master in Philosophie erwerben will und sich dazu auf fachliche Spezialgebiete konzentrieren kann, oder ob man für den Schulunterricht gerüstet sein will. Manche Studierende übernehmen für sich den allgemeinen Jargon „Ich studiere nur auf Lehramt.“. Ich habe da immer widersprochen und deren Selbstbewusstsein zu stärken versucht, indem ich ihnen bewusst gemacht habe, dass sie nicht weniger, sondern viel mehr können müssen: Sie müssen als erstes philosophisch denken und argumentieren können, sie müssen die wichtigsten philosophischen „Klassiker“ kennen unbeschadet des Kanonproblems, sie müssen einen Überblick sowohl über die Problemgeschichte der Philosophie wie über die wichtigsten theoretischen Ansätze sich erarbeiten zumindest in den einschlägigen Bereichen der Philosophie (Ethik, Anthropologie und Sozialphilosophie, möglichst auch Staats- und Rechtsphilosophie, aber auch in der Erkenntnistheorie und der Religionsphilosophie), d. h. also, dass sie schon innerfachlich den Spagat zwischen Tiefe und Breite des Studiums, die beide notwendig sind, bewältigen müssen. Hinzu kommen interdisziplinäre Randgebiete, etwa zur Psychologie, Geschichte oder Naturwissenschaften, vor allem können sie auch ohne ein solides religionskundliches Wissen später den Unterricht nicht bestreiten. Wünschenswert wäre auch der kontinuierliche Einblick in die aktuellen Diskurse der Philosophie als Wissenschaft ebenso wie eine Beschäftigung und Urteilsbildung zu aktuellen gesellschaftlichen, politischen, aber auch technischen und wissenschaftlichen Tendenzen und Problemen. Aber das sind ‚nur‘ wichtige Inhalte. Dazu kommt weiterhin die Beschäftigung mit allgemeiner Pädagogik und Didaktik und – nicht zuletzt die Beschäftigung mit den Grundfragen, aber auch Theorien und gegenwärtigen Tendenzen und Diskursen in der Fachdidaktik. Wann sonst in der Lehramtsausbildung sollten diese theoretischen Grundlagen der Fachdidaktik vorkommen, wenn nicht in der ersten Phase, in der ja der Ernst des Praxisdrucks noch nicht in dem Maße greift wie später?
Zur Präsenz der Fachdidaktik an der Hochschule gehören zum einen die Seminare, die mit den grundlegenden Fragen und Problemstellungen sowie den theoretischen Ansätzen und Konzeptionen der Fachdidaktik vertraut machen und darin zu eigenständigem Denken befähigen sollen, zum anderen die Seminare, die den Studierenden Hilfestellung geben sollen, einen Weg in das Fach hinein zu finden, indem sie sich Überblicke verschaffen (dieses Zugeständnis habe ich gemacht, seit ich erkannt habe, dass die schulischen Voraussetzungen unserer heutigen Studierenden ganz andere sind, als sie es in meiner Generation waren), aber vor allem sich exemplarisch befassen mit ausgewählten Themen, wie sie etwa die Rahmenrichtlinien vorsehen. Die andere Seite sind die Schulpraktika. Hier sollte nicht auf möglichst großen Umfang orientiert werden, vielmehr darauf, dass die Betreuung intensiv und personen-bezogen geschieht, auch hier gilt das Dialog-Prinzip. Die Auswertungsgespräche haben eine eminente Bedeutung, weil, kurz gesagt, am konkreten Unterrichtsbeispiel die didaktische Theorie die Praxis erhellt ebenso wie umgekehrt die Praxis die fachdidaktische Theorie besser erfassen lässt. Aber nicht auf Beobachtung (nach dem Muster empirischer Bildungsforschung) kommt es an, sondern die anfänglichen Unterrichtsversuche sollten zu Reflexionsanlässen werden, aus denen die einzelnen Studierenden einen Lerngewinn ziehen können auf ihrem je eigenen Weg zur künftigen Lehrerpersönlichkeit.
Besonders bedauerlich finde ich, wenn Studierende, „weil sie doch so gut sind“, vom Lehramtsstudium abgeworben werden, manchmal gerade solche, die ich vor meinem inneren Auge gerne als künftige Lehrerin und vielleicht auch Mentorin an einer Schule in Reichweite gesehen hätte. Denn dass der tatsächlich stattfindende Unterricht nicht immer unseren Ansprüchen entspricht, versteht sich von selbst, und der Aufbau eines neuen Faches und seiner Dialogkultur braucht auch Zeit. Umgekehrt sollte daher die Dozentenperspektive so aussehen: Gerade die Guten brauchen wir im Schuldienst, damit die Ansprüche, die wir an den Schulunterricht in Ethik und Philosophie haben, aber nicht minder die dem entsprechenden Ansprüche an die Lehrerausbildung, eingelöst und Wirklichkeit werden können und dies nicht nur für das Gymnasium, sondern für alle Schulformen.
Als Fachdidaktiker/in sitzt man „zwischen allen Stühlen“. Aber das „Zwischen“ ist der konstitutive und legitime Ort der Fachdidaktik. Es ist kein defizitärer Modus von irgendetwas anderem (z. B. einer unterstellten ‚eigentlichen‘ Philosophie oder dem ‚eigentlichen Studium‘), es hat seinen eigenständigen Wert im Dienste der Bildungsprozesse der nächsten Generation. Das Zwischen als der konstitutive Ort der Fachdidaktik ist also nicht zu beklagen; nur lässt leider eine angemessene institutionelle Einlösung bundesweit noch zu wünschen übrig. – Mein persönliches Berufsleben, das fünf verschiedene Bundesländer durchlaufen hat, ist voll von Sondergenehmigungen für den Philosophie-Unterricht und seine Didaktik, die jeweils erst erstritten werden mussten. Es bleibt die Hoffnung, dass es die nachfolgenden Generationen darin leichter haben – von Normalität sind wir wohl immer noch weit entfernt.
UNSERE AUTORIN:
Gisela Raupach-Strey ist promovierte Philosophin und ausgebildete Philosophie- und Mathematik-Lehrerin. Nach langjähriger Schultätigkeit lehrte sie zwanzig Jahre bis zu ihrer Pensionierung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Philosophie- und Ethikdidaktik.
Aus Heft 4/2013, S. 100-107
Quelle: Diese Rezension erschien unter www.information-philosophie.de (Editiert)