Heinrich Friedrich Ernst Blücher (1899 - 1970) war deutsch-amerikanischer Philosoph, und Hochschullehrer. Er war der zweite Ehemann von Hannah Arendt, die er 1936 in Paris kennengelernt hatte.
Bevor Blücher Hannah Arendt heiratete, war er mit Lieselotte Ostwald und mit Natascha Jefroikyn (1932–1935) verheiratet.
Blücher galt als wahrer aber auch hoffnungsloser Anarchist, der zwar später als Philosoph in Intellektuellen Kreisen Anerkennung fand, aber ein Autodidakt war, der die Abendschule besucht, nie einen Abschluss machte, ein Bohemien, der bis 1933 in deutschen Kabaretts gearbeitet hatte.
Leben
Frühe Jahre
Blücher wurde am 29. Januar 1899 in Berlin in der armen Arbeiterklasse der Stadt geboren. Nach der Volksschule begann Blücher eine Ausbildung an einem Lehrerseminar, die er – durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen – nicht abschloss.
Als Jugendlicher war er sehr wissensdurstig und kaufte sich Bücher, wann immer er Geld hatte – u. a. deutsche Dichtung und Shakespeare in deutscher Übersetzung. Während des Krieges las er Marx, Engels und Trotzki. Obwohl er kein Jude war, trat er der zionistischen Jugendgruppe Blau-Weiß bei.
1917 wurde Blücher zum Kriegsdienst eingezogen und als „Radio-Telegraphist“, d. h. als Funker, ausgebildet. Im November 1918 schloss er sich in Berlin den Soldatenräten an, wurde Mitglied des Spartakusbundes und 1919 Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands.
Berlin
Ab 1920 besuchte er in Berlin Abendvorlesungen an der "Deutschen Hochschule für Politik" (DhfP) zur politischen Theorie und an der "Berliner Akademie" über Kunstgeschichte.
Er arbeitete er im illegalen Militär-Apparat der KPD. Als Berufsrevolutionär mit dem Tarnnamen „Heinrich Larsen“ beschaffte er Informationen über die illegale Aufrüstung der Reichswehr und bildete Funker für den sowjetischen Nachrichtendienst aus.
Blücher war Mitglied der "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD). Später wurde er Mitglied einer kleinen antistalinistischen Gruppe, der "Kommunistischen Partei Opposition".
Exil
Als Kommunist floh Blücher 1933 nach dem Aufstieg des Nationalsozialismus aus Deutschland. Er entkam ohne die notwendigen Reisedokumente über die tschechische Grenze nach Prag und 1935 nach Paris. Während dieser Zeit schloss er enge Freundschaft mit Walter Benjamin, über den er 1936 Arendt kennenlernte.
Er gehörte im französischen Exil zu den führenden „Versöhnlern“, welche die These des Sozialfaschismus als Spaltung der Arbeiterbewegung ablehnten. Im November 1936 wurde Blücher zusammen mit weiteren internen „Oppositionellen“ aus der KPD wegen „trotzkistischer Verbindungen und Zersetzungsarbeit“ ausgeschlossen.
Nach Arendts Scheidung von Günther Stern 1937 heirateten sie am 16. Januar 1940 und das Paar emigrierte 1941 nach New York City.
Amerika
Bei seiner Einreise verschwieg Blücher seine frühere Mitgliedschaft in der KPD und konnte als Militärexperte an Dokumentationen des amerikanischen Militär-Geheimdienstes mitarbeiten. Blücher erhielt 1952 die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Heinrich Blücher unterrichtete ab 1950 an der "New School for Social Research" sowie ab 1952 Philosophie am "Bard College", eine Position, die er 17 Jahre lang innehatte. Im Jahr 1968 wurde er dort zum Ehrendoktor ernannt. Im selben Jahr hielt er dort seine letzte Vorlesung.
Die Ehe mit Arendt war eine offenen Beziehung (Polyamorie). In einem Brief an Blücher drückte Arendt ihre Freude darüber aus und schrieb:
"Ja, Liebe, unsere Herzen sind einander wirklich zugewachsen, und unsere Schritte gehen im Gleichklang. Diese Dummköpfe, die sich für treu halten, wenn sie ihr aktives Leben aufgeben und sich zu einem exklusiven zusammenbinden; dann haben sie kein gemeinsames Leben, sondern überhaupt kein Leben. Wenn es nicht so riskant wäre, sollte man der Welt eines Tages sagen, was eine Ehe wirklich ist."
Blücher ermutigte seine Frau, sich mit dem Marxismus und der politischen Theorie zu befassen, auch wenn deren Umgang mit dem Gedankengut von Karl Marx keineswegs orthodox war. Blücher prägte auch den Begriff des "politischen Antiprinzips", um die Zerstörung eines Raums des Widerstands durch den Totalitarismus zu beschreiben - ein Begriff, der sowohl von Arendt als auch von Karl Jaspers übernommen wurde.
Blücher starb am 31. Oktober 1970 in New York an einem Herzinfarkt. Er wurde auf dem Friedhof des Bard College beigesetzt (wie auch 1975 seine Frau Hannah Arendt).
Philosophie
Neben Arendt und Heidegger stand auch Blücher dem Fortschrittsoptimismus sowie den in den Naturwissenschaften verbreiteten Materialismus kritisch gegenüber.
Er vertrat Ansicht, dass die Wissenschaft eine entsprechende Denkweise vertrete, die nun die Religion und auch die Philosophie bedrohe. Er argumentierte, dass diese Überzeugung, die er in Alfred North Whiteheads "Science and the Modern World" (1925) am besten dargestellt sah, dieselbe sei wie die des vorsokratischen Denkers Heraklit. Er sah die Wissenschaft und Heraklit nämlich in der Behauptung übereinstimmen, dass es eine rationale Ordnung der Dinge gibt, die auch eine natürliche Ordnung der Dinge ist". Er unterschied Heraklit auch von der Metaphysik und argumentierte, dass "Heraklit, ebenso wie Buddha, Sokrates, Jesus und alle anderen, die wir hier betrachten, ein ganz und gar nicht-mystischer Philosoph und auch ein ganz und gar nicht-magisches Wesen war"
Blücher sah Heisenbergs Unschärferelation als Hinweis auf die Notwendigkeit der Entwicklung einer expliziten und strengen Wissenschaftsphilosophie. Er unterstrich diese Notwendigkeit, indem er sich auf die Vergötterung der Wissenschaft im Sinne Kants berief, indem er schrieb,
dass die "Tatsache, dass der Mensch in dem Augenblick, in dem er ein Prinzip über sich selbst stellen wollte und es dann versäumte, dieses Prinzip entweder Gott oder das Absolute zu nennen (weil beides erlaubt ist), sondern vielmehr etwas Konkretes wählte, um es zu einem Absoluten zu machen (wie die menschliche Vernunft oder was auch immer) --- genau diese Tatsache deutet auf eines hin, nämlich dass, wann immer etwas Konkretes zu einem Absoluten gemacht wird, alles auf die gleiche Behauptung hinausläuft, dass der Mensch Gott ist."
Obwohl er interessanterweise Gott als Ergebnis der Moral ansieht, schreibt er, dass "es keine einzige Wissenschaft, Kunst, Philosophie, Politik oder Religion gibt, die nicht ihre Wurzel in der Frage der Moral hat."
Trivia
Der Schauspieler Axel Milberg (bekannt als Tatort-Kommissar Klaus Borowski) spielt Heinrich Blücher in dem Biopic "Hannah Arendt", das sich auf die Zeit während und nach der Veröffentlichung von "Eichmann in Jerusalem" konzentriert.
Blücher wird als liebender Ehemann dargestellt, der eine aktive Rolle in Arendts Leben einnimmt, er ist auch in den gesellschaftlichen Kreisen aktiv, in denen Arendt und er verkehren, und liefert sich häufig hitzige Debatten mit Hans Jonas. Im Film wird beschrieben, dass er Rosa Luxemburg "bis zum Ende" gefolgt ist. Im Film sieht man ihn in tiefer Liebe zu Arendt, trotz des Hinweises auf gegenseitige Untreue, die auf eine Ehe schließen lässt, die auf einer Form von Polyamorie basiert.
Literatur
- Barbara Bechtolsheim: Hannah Arendt und Heinrich Blücher. Biografie eines Paares. Insel, Berlin 2023, ISBN 978-3-458-64297-8
- Reinhard Müller: Heinrich Blücher – Hannah Arendts „Wunder-Rabbi“. Revision eines Lebenslaufs. In: Ulrich Bielefeld, Heinz Bude, Bernd Greiner (Hrsg.): Gesellschaft – Gewalt – Vertrauen. Jan Philipp Reemtsma zum 60. Geburtstag. Hamburger Edition, Hamburg 2012, ISBN 978-3-86854-255-4, S. 373–400