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Das Buch "Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen" (1963) stammt von der politischen Denkerin Hannah Arendt. Sie verfasste es als Prozessbeobachterin für das Magazin "The New Yorker" über den Prozesses (1961) in Jerusalem gegen den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann (1962 durch Hängen hingerichtet).

Die Idee der „Banalisierung des Bösen“ löste zahlreiche Debatten aus und führte zu heftigen Auseinandersetzungen. Im Verlauf des Prozesses, so Arendt, tauche anstelle des blutrünstigen Monsters, das alle erwartet hätten, ein Angestellter, ein Bürokrat auf. Der Mann zeigte weder Schuldgefühle für seine Taten noch Hass gegenüber denen, die ihn an den Pranger stellten. Er behauptete, er trage keine Verantwortung, weil er lediglich „seine Arbeit getan“ habe. („Er tat seine ‚Pflicht‘ ...; er befolgte nicht nur ‚Befehle‘, sondern auch das ‚Gesetz‘.“)

Zusammenfassung

Neben dem Ablauf des Prozesses selbst und historischen Erinnerungen an Eichmanns Rolle, erläutert das Buch die wichtigsten politischen Thesen von Arendts Denken und behandelt die Themen der Notwendigkeit von Widerstand, der Realpolitik, die als Entfremdung vom politischen Handeln angesehen wird, und des Legalismus, der „in einer Krise ein kriminelles Vergehen darstellen kann“.

Das Buch entwickelt insbesondere die Idee, dass Eichmann weder ein geborener Krimineller noch ein Geisteskranker war, sondern lediglich ein Rädchen in einer blinden bürokratischen Maschine, deren ausführende Organe jegliche Vorstellung von Ethik verloren haben und dem Leid der Menschen ungerührt gegenüberstanden.

„Daß ein großes Verbrechen der Natur Gewalt antut und die Erde selbst nach Vergeltung schreit; dass das Böse eine naturgegebene Harmonie zerstört, die nur durch Sühne wiederhergestellt werden kann; dass Unrecht der betroffenen Gruppe um der moralischen Ordnung willen die Pflicht auferlegt, den Schuldigen zu bestrafen – all das sind für uns antiquierte Vorstellungen, die wir als barbarisch ablehnen. Und dennoch, scheint mir, lässt sich kaum leugnen, dass Eichmann auf Grund solcher längst vergessenen Vorstellungen überhaupt vor Gericht kam und dass sie allein schließlich die Todesstrafe rechtfertigen. Er konnte nicht länger auf der Erde unter den Menschen bleiben, weil er in ein Unternehmen verwickelt war, das zugegebenermaßen gewisse „Rassen“ für immer vom Erdboden verschwinden lassen wollte.“
(zit. nach: Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem. München (1964), von der Autorin durchgesehene und ergänzte deutsche Erstausgabe, S.327)

Da sie den "kategorischen Imperativ" nicht mehr hörten, gehorchten sie blind den Vorschriften und Gesetzen, die von einer rechtmäßig gewählten Regierung erlassen wurden. Aus diesem Grund konnte Eichmann in aller Ruhe behaupten, dass er sich nie außerhalb der Legalität des Dritten Reiches befunden habe. Für Arendt ist Eichmann somit ein gewöhnlicher Beamter unter Tausenden von Beamten.

Dem britischen Historiker Hugh Trevor-Roper (Wikipedia) zufolge ist "Eichmann in Jerusalem" zutiefst Raul Hilbergs Standardwerk "The Destruction of the European Jews" (Die Vernichtung der europäischen Juden; 1948) verpflichtet, so sehr, dass Hilberg selbst von einem Plagiat sprach.

Adolf Eichmann

Eichmann war einer der Hauptverantwortlichen für den Holocaust und leitete jahrelang in Berlin das „Eichmannreferat“. Diese zentrale Dienststelle des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA, mit dem Kürzel IV B 4) organisierte die Verfolgung, Vertreibung und Deportation von Juden.

Nach Kriegsende tauchte Eichmann unter und lebte und arbeitete in Deutschland unter falschen Namen.
Im Jahr 1950 hatte er ausreichende Ersparnisse, um mit Hilfe deutsch-katholischer Kreise um den österreichischen Bischof Alois Hudal im Vatikan über Italien entlang der sogenannten "Rattenlinien" nach Argentinien auszuwandern.

Im Mai 1960 wurde er von israelischen Agenten (Mossad) aus Argentinien entführt und nach Israel gebracht, wo ihm ein öffentlicher Prozess gemacht wurde. Er wurde zum Tode verurteilt und in der Nacht vom 31. Mai auf den 1. Juni 1962 durch Hängen hingerichtet.

Kritik

In seinem Buch "Adolf Eichmann. Bürokrat und Massenmörder." (2006) hat der Holocaust-Forscher David Cesarani Arendts Darstellung von Eichmann aus mehreren Gründen in Zweifel gezogen.

Seinen Erkenntnissen zufolge nahm Arendt nur an einem Teil des Prozesses teil, nämlich an der Verlesung der Anklageschrift. Sie war nicht Zeugin von Eichmanns Zeugenaussagen und seiner Selbstverteidigung. Dies könnte ihre Meinung über ihn verzerrt haben, da in den Teilen des Prozesses, die sie verpasst hat, die stärksten Aspekte seiner Persönlichkeit zum Vorschein kamen.

Cesarani legt auch zahlreiche Beweise dafür vor, dass Eichmann in der Tat sehr antisemitisch war und dass diese Gefühle wichtige Beweggründe für sein Handeln waren. Er argumentiert daher, dass Arendts Behauptungen, seine Motive seien banal und nicht ideologisch gewesen und er habe seine Entscheidungsfreiheit aufgegeben und Hitlers Befehlen gehorcht, durchaus auf fadenscheinigen Gründen beruhen können.

Recht umstritten ist die Äußerung von Cesarani, das Arendt, wie viele Juden deutscher Herkunft, mit einer gewissen Verachtung den Zionismus (und auf Israel) blickte.
In dem Kontext argumentiert Cesarani auch, dass Arendts Darstellung des Eichmann-Prozesses durch ihre Voreingenommenheit gegenüber dem osteuropäisch-jüdischen Hintergrund des Anklägers Gideon Hausner beeinträchtigt wurde.

Im Jahr 2013 schrieb die Schriftstellerin Monika Zgustova über Arendt und ihr Buch folgendes:

Viele Essayisten und Kommentatoren haben Arendts Ideen nicht verstanden und verstehen sie immer noch nicht, weil sie ihr Buch nicht gelesen haben oder es unter dem Einfluss früherer Kommentare gelesen haben. Das ist der Grund, warum das Missverständnis über Eichmann in Jerusalem nicht ausgeräumt werden konnte und Hannah Arendt zu einer Autorin geworden ist, über die viel gesprochen, aber wenig gelesen wird.

Ihre Ideen sind heute noch genauso beunruhigend wie vor fünfzig Jahren. Nichts in der Geschichte ist schwarz oder weiß, und Arendts Analysen erregen die Feindseligkeit derjenigen, die es vorziehen, alles mit einfachen Schemata zu erklären, die keinen Zweifel zulassen und kein endloses Nachdenken erzwingen.

Deshalb ist es notwendiger denn je, an die Quelle zu gehen und Hannah Arendt zu lesen, denn sie hat gezeigt, dass das Böse das Werk von einfachen Menschen sein kann, von solchen, die das Denken aufgeben, um sich dem Strom ihrer Zeit hinzugeben. Und das gilt auch für die Zeiten, in denen wir leben.

Film

Unter der Regie von Margarethe von Trotta entstand der Film "Hannah Arendt" (2012) der sich auf diese Episode im Leben der Philosophin konzentriert. Barbara Sukowa spielt die titelgebende Hauptrolle - zu gleichen Teilen hölzern & überdreht "flippig" sowie insgesamt mit der übersichtlichen Struktur eines Panzerschranks.