Im Jahr 1924 nahm Hannah Arendt (1906 - 1975) ihr Studium an der Universität Marburg auf und studierte ein Jahr lang Philosophie bei Martin Heidegger (1889 - 1976) und Nicolai Hartmann, außerdem als Nebenfächer Evangelische Theologie, wobei sie insbesondere Vorlesungen bei Rudolf Bultmann hörte, sowie Gräzistik.
Der 35-jährige Familienvater Heidegger und die 18-jährige Studentin verliebten sich ineinander und begannen eine Beziehung. Arendt war nicht die erste und nicht die einzige Liebesbeziehung Heideggers in seiner Marburger Zeit. Arendt lebte in Marburg wegen ihrer Beziehung zu Heidegger, die dieser geheim halten wollte, sehr zurückgezogen. Die Beziehung zwischen Heidegger und Arendt blieb der Öffentlichkeit verborgen, bis 1982 die große Arendt-Biografie von Elisabeth Young-Bruehl gleichzeitig in den USA und Großbritannien erschien. Seitdem gibt es darüber zahlreiche Veröffentlichungen.
Inhalt
Heidegger war seit 1917 mit Elfride Petri (1893–1992) verheiratet. Im Januar 1919 kam der erste Sohn Jörg († 2019), im August 1920 Hermann († 2020) zur Welt.
Allerdings war Martin Heidegger nicht der leibliche Vater ihres jüngsten Sohnes Hermann, der später Mitherausgeber von Heideggers gesammelten Werken wurde.
Anfang 1926 fasste Arendt auf Drängen Heideggers (1923 zum Professor ernannt) den Entschluss, den Studienort zu wechseln, und ging für ein Semester zu Edmund Husserl nach Freiburg. In Heidelberg studierte sie anschließend Philosophie und wurde auf Vermittlung Heideggers 1928 bei Karl Jaspers nach erfolgreicher Verteidigung ihrer Arbeit "Der Liebesbegriff bei Augustin" promoviert. Es kam noch zu einzelnen Treffen, bis Heidegger 1928 die Beziehung beendete.
1929 heiratete Hannah Arendt Günther Stern (später Günther Anders), einen jungen deutschen Philosophen, den sie 1925 im akademischen Umfeld kennengelernt hatte und der 1927 ihr Lebensgefährte geworden war.
Martin Heidegger: Der Briefwechsel mit Hannah Arendt
1982 hatte Elisabeth Young-Bruehl in ihrem Buch "Hannah Arendt: For Love of the World" erstmals öffentlich gemacht, was manche aus mündlichen Quellen wussten: dass es zwischen Martin Heidegger und seiner Schülerin Hannah Arendt eine intime Beziehung gegeben habe, und dass der Briefwechsel zwischen beiden noch vorhanden, aber unter Verschluss sei. Elzbietta Ettinger gelang es, für ihr Projekt einer Arendt Biographie Einblick in diese Materialien zu erhalten.
Entgegen ihrer Ankündigung entschloss sie sich dann zu einer gesonderten Publikation die in der “Serie Piper” als "Hannah Arendt - Martin Heidegger: Eine Geschichte" erschien.
Dabei kam Heidegger schlecht weg und, wie Ursula Ludz berichtet, konnte Heideggers Sohn Hermann, der Nachlassverwalter, aus diesem Grund dazu bewogen werden, die im Deutschen Literaturarchiv Marbach lagernden Briefe zu veröffentlichen:
Hannah Arendt/Martin Heidegger: Briefe 1925 bis 1975 und andere Zeugnisse. Aus den Nachlässen herausgegeben von Ursula Ludz. 2., durchgesehene Auflage, 435 S., Ln., DM 88--, 1999, Vittorio Klostermann, Frankfurt
Von den erhaltenen Mitteilungen stammt lediglich ein Viertel von Hannah Arendt; im einzelnen sind es 119 Briefe, Postkarten oder Kurzmitteilungen von ihm an sie und 33 Schriftstücke von ihr, von denen viele nur als Kopien oder Konzepte existieren. Hinzu kommen noch einige wenige für den Zusammenhang wichtige Briefe sowie u. a. Gedichte von Heidegger.
Die tendenziöse, heideggerfeindliche Darstellung, die Elzbieta Ettinger dem Verhältnis gegeben hat, muss nach dieser Publikation korrigiert werden: Von einer einseitigen Verfallenheit der Hannah Arendt an Heidegger und einer skrupellosen Ausnutzung dieser Abhängigkeit zu seinen Gunsten kann nicht die Rede sein. Es handelt sich vielmehr um eine für beide tiefe und wichtige, von Krisen geschüttelte, aber das ganze Leben hindurch andauernde Beziehung, in der Heidegger jedoch derjenige bleibt, zu dem Hannah Arendt aufblickt.
Den ersten Brief schreibt der siebzehn Jahre ältere verheiratete Professor Martin Heidegger am 10. Februar 1925 in Marburg seiner Schülerin, die im Wintersemester 1924/25 ihr Studium begonnen hatte:
“Liebes Fräulein Arendt! Ich muss heute Abend zu Ihnen kommen und zu Ihrem Herzen sprechen. Alles soll schlicht und klar und rein zwischen uns sein. Dann sind wir einzig dessen würdig, dass wir uns begegnen durften.”
Bereits der zweite Brief, am 21. Februar, beginnt ganz anders:
“Liebe Hannah! Warum ist die Liebe über alle Ausmaße anderer menschlicher Möglichkeiten reich und den Betroffenen eine süße Last?”
Diese tiefsinnige Sprache weicht aber schnell einem prosaischen Stil, in dem Heidegger berichtet, was er gerade macht, was er plant. In einem Text “Schatten” erzählt Hannah, als suche sie Schutz vor einer direkten Verwundung, in der dritten Person von sich und gibt ihr Innerstes preis:
“Denn Fremdheit und Zärtlichkeit drohten ihr schon früh eins und identisch zu werden. Zärtlichkeit bedeutet scheue, zurückgehaltene Zuneigung, kein Sich-Geben, sondern ein Abtasten, das Streicheln, Freude und Verwundern an fremden Formen war ... Sie wusste um Vieles - durch eine Erfahrung und eine stets wache Aufmerksamkeit. Aber alles, was ihr so geschah, fiel auf den Grund ihrer Seele, blieb dort isoliert und verkapselt. Ihre Ungelöstheit und ihre Unaufgeschlossenheit verwehrten es ihr, mit Geheimnissen anders umzugehen, als in dumpfem Schmerz oder träumerischer, verwunschener Verbanntheit”.
Heidegger antwortete am 24. April:
“Ganz aus der Mitte Deiner Existenz bist Du mir nah und für immer in meinem Leben wirkende Kraft geworden”,
aber auf den Hilferuf Arendts in ihrem Text kann er nicht antworten, er ist letztlich nur an seiner Arbeit interessiert. Sie sei ihm hier zu nahe gekommen, meint Martin Meier in seiner Besprechung in der Neuen Zürcher Zeitung, er wolle sie so, wie er sie brauche:
"immer mit den gleichen Attributen der Weiblichkeit, den strahlenden Augen, der reinen Stirn, den gütigen, scheuen Händen".
Skeptisch gegen Heideggers Liebesbeteuerungen ist auch Rahel Jaeggi in ihrer Besprechung. Seine Liebesbriefe würden wie Beschwörungen dessen klingen, was ihm gerade nicht gelingt: “das ‘Du’ wirklich zu nehmen”. Er fahre stattdessen ein ganzes Repertoire von Männerphantasien auf, “eine Ansammlung von Projektionen, die das Verhältnis auf eine merkwürdige Art unpersönlich werden lassen”.
Tief fühlt Hannah Arendt, so in einem Brief aus dem Jahr 1929:
“Vergiß mich nicht, und vergiß nicht, wie sehr und tief ich weiß, dass unsere Liebe der Segen meines Herzens geworden ist.”
Im Winter 1932/33 endet der erste Teil des Briefwechsels abrupt. Hannah Arendt hatte ihm über Gerüchte geschrieben, die sie beunruhigten. Heidegger antwortet etwas herablassend und selbstgefällig:
“Dass ich Juden nicht grüßen soll, ist eine so üble Nachrede, dass ich sie mir allerdings künftig merken werde ... Ich bin dieses Wintersemester beurlaubt und habe deshalb im Sommer rechtzeitig bekannt gegeben, dass ich in Ruhe gelassen sein möchte und Arbeiten und dergleichen nicht annehme. Wer trotzdem kommt und dringlich promovieren muss und auch kann ist ein Jude ... Wer mir vor einigen Wochen eine umfangreiche Arbeit zur dringlichen Durchsicht schickte, ist ein Jude ... Im übrigen bin ich heute in Universitätsfragen genauso ein Antisemit wie vor 10 Jahren und in Marburg, wo ich für diesen Antisemitismus sogar die Unterstützung von Jacobsthal und Friedländer fand.”
Erst 1950 findet der Briefwechsel seine Fortsetzung, Arendt hatte Heidegger auf ihrer Deutschlandreise in Freiburg besucht und auch Heideggers Frau kennengelernt; dieser hatte ihr in der Zwischenzeit alles gebeichtet. Während Heidegger sich über die vergangene Zeit, über die Beziehung zu ihr, über die Zeit des Nationalsozialismus, nie offen äußert, sich immer hinter seinem Jargon versteckt, wird Arendt direkter: Sie hätten nicht viel und nicht übermäßig offen miteinander verkehrt, schreibt sie am 9. Februar 1950, und weggegangen aus Marburg sei sie damals einzig seinetwegen. Auch an Heideggers Frau schreibt sie einen Tag später und meint, deren Gesinnung bringe es
“mit sich, dass ein Gespräch fast unmöglich ist, weil ja das, was der andere sagen könnte, bereits im vornhinein charakterisiert und ... katalogisiert ist - jüdisch, deutsch, chinesisch.”
Martin Heidegger meint jedoch hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den beiden Frauen:
“Es bedarf nur noch einer geringen Beseitigung eines Missverständnisses, das vielleicht im oberflächlichen Gerede anderer seine eigentliche Wurzel hat.”
Heideggers Gefühle zu seiner ehemaligen Studentin erwachen neu:
“Wie oft führ ich gerne mit dem fünffingrigen Kamm durch Dein Wuschelhaar, vollends wenn Dein liebes Bild mir mitten ins Herz blickt.“
Umgekehrt sind von Hannah Arendt aus dieser Zeit keine Briefe erhalten. Neben Berichten über Heideggers Arbeit erfährt man aus dem Briefwechsel einiges über sein Bild der Weltlage:
“Die wachsende Bedrohung durch die Sowjets zwingt uns, heller zu sehen, heller auch als jetzt der Westen sieht. Denn jetzt sind wir die unmittelbar Bedrohten. Stalin braucht den Krieg ... Ich mache mir auch nichts darüber vor, dass ich mit meinem Denken zu den Bedrohtesten gehöre, die zuerst ausgelöscht werden ... es kann auch geschehen, dass auf lange Zeit hinaus kein Weitergeben des Großen und kein Wiederbringen des Wesenhaften mehr möglich ist ...Vielleicht ist der planetarische Journalismus die erste Zuckung dieser Verwüstung aller Anfänge und ihrer Überlieferung.” Heidegger fordert ein Denken, “das bedenkt, ... dass das Schicksal der Juden und der Deutschen ja seine eigene Wahrheit hat, die unser historisches Rechnen nicht erreicht”.
1954 kommt das Thema der Übersetzung von Heideggers Schriften ins Englische zur Sprache. Heidegger, der kaum Englisch kann, wünscht sich, dass sie die Übersetzungen kontrolliert und bringt dies zögernd zur Sprache:
“Aber ich wage kaum daran zu denken, dass Du bei Deiner sonstigen Inanspruchnahme auch nur diese letzte und doch maßgebende Überprüfung Dir aufladen dürftest.“ Hannah Arendt antwortet ganz begeistert: “Du weißt, hoffe ich, dass Du mir schwerlich eine größere Freude hättest machen können.“
In den folgenden Briefen spricht Heidegger immer von seiner Arbeit, er schickt ihr auch seine Publikationen, die Arendt liest und die sie nachhaltig beschäftigen.
“Ich las gerade nochmals den ganzen Hölderlinband, mit besonderer Aufmerksamkeit auf das, was Du darin über das Denken und das deinon sagst”,
schreibt sie 1971.
Umgekehrt interessiert sich Heidegger auffallend nur für ihre Person, nie für ihre Arbeit und ihre Publikationen, die nun auch in deutscher Sprache erscheinen. “Im Unterschied zu Dir schenke ich der Politik nur geringes Interesse”, schreibt er 1974, um gleich die Weltlage, die “ klar ist ”, zu skizzieren: “Alles bewegt sich im Vordergründigen. Gegen die Aufsässigkeit der ‘Massenmedien’: und der Institutionen vermag der Einzelne nichts mehr”, schreibt Heidegger in einem der letzten Briefe.
Rahel Jaeggi macht auch auf ein Doppelspiel der Hannah Arendt aufmerksam: Der “huldigend erhebenden Ton”, in dem sie an Heidegger schreibt, wird konterkariert durch die scharfzüngigen, Heidegger durchschauenden Beschreibungen, die sie an Jaspers oder ihren Ehemann Blücher liefert.
Quelle: Diese Rezension erschien unter www.information-philosophie.de (Editiert)
Heidegger und Arendt: Eine Liebesgeschichte
Im Alter von 7 Jahren war Hannah Arendt durch den Tod ihres Vaters Halbwaise geworden. Ihre geliebte Mutter war häufig auf Reisen, und jedesmal ängstigte sich das Mädchen, ob sie auch ja wieder zurückkomme. Als Hannah dreizehn war, heiratete Martha Arendt wieder. Hannah mußte sie nun nicht nur mit einem Mann, sondern auch mit zwei älteren Stiefschwestern teilen. Die Welt war für sie ein verwirrender Ort, wo sie sich verloren, ungeschützt und hilflos fühlte. Doch schaffte sie es immer wieder, tapfer aufzutreten.
"Der blödsinnige, von Jugend anerzogene Zwang vor aller Welt... immer so zu tun, als ob alles in bester Ordnung ist, (kostet) den besten Teil meiner Kraft",
schreibt sie in einem Brief. Als junge Studentin begegnete sie dem damals 35jährigen verheirateten Martin Heidegger. Er hatte gerade "Sein und Zeit" geschrieben und bereitete sich auf eine Universitätskarriere vor. Als er die junge Frau zum erstenmal sah, verliebte er sich gleich in sie. Die Geschichte dieser Liebe schildert die am Massachusetts Institute of Technology Anglistik und Politische Wissenschaften lehrende Elzbieta Ettinger in dem Bändchen
Ettinger, Elzbieta: Hannah Arendt. Martin Heidegger. Eine Geschichte. 139 S., kt., DM 16.90, 1994, Serie Piper 1904, Piper, München.
Die Autorin hat dazu den Nachlaß von Hannah Arendt eingesehen. Aus den Briefen Heideggers an Hannah Arendt zu zitieren, ist ihr unverständlicherweise nicht erlaubt worden. So ist in dieser Beziehung der Leser auf ihre Schilderung angewiesen - und diese ist für Heidegger nicht schmeichelhaft: Hannah Arendt wird als eine von Heidegger verführte Studentin beschrieben, die von ihm aus egoistischen Motiven ausgenutzt, in ihrer Entwicklung gehemmt und als Intellektuelle nicht für voll genommen wird. Ob und wie sie in ihrem Denken von Heidegger profitiert hat, wird nicht thematisiert. Das Buch ist insofern problematisch, als es aus einer "Schlüssellochperspektive" (Frankfurter Rundschau) stark wertet. Christine Pries meint deshalb, für eine persönliche Einschätzung beider sei es auf jeden Fall geraten, "auf die Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Arendt und Heidegger zu warten", die jetzt schon früher erfolgen soll als ursprünglich geplant.
Auf den aus bodenständigem Milieu stammenden Heidegger übte die jüdisch-kosmopolitische Frau, die mit ihrem Bubikopf und ihrer modischen Kleidung in der kleinen Universitätsstadt Marburg mißbilligende Blicke auf sich zog, mit ihrem exotischen Aussehen und ihrer Aufgeschlossenheit einen so starken Reiz aus, daß er sich mit ihr auf eine heimliche Affäre einließ, mit der er seine Ehe und seine Karriere gefährdete. Er scheute sich nicht davor, ihr Liebesbriefe zu schreiben, so tief waren seine bisher noch nie erlebten Gefühle und Gedanken. Beide waren begeistert von Bach und Beethoven, Rilke und Thomas Mann und Heideggers Ausführungen über Plato, Sokrates und Heraklit blieben kostbare Erinnerungen für sie. Aber so abhängig er von dieser Liebe emotional auch sein mochte, von Anfang an hatte er als reifer Mann und Lehrer die Oberhand.
Der verliebte Heidegger beobachtete seine Studentin erst zwei Monate lang, dann lud er sie in sein Büro, worauf ein, "in eloquent-gestelzter Prosa" (Ettinger) verfaßter Brief folgte. Auch die Hannah Arendt fühlte sich augenblicklich und unwiderstehlich zu Heidegger hingezogen. Ein zwei Wochen später von Heidegger geschriebener Brief zeigt den Beginn physischer Intimität an.
Die Entschlossenheit, mit der er die Beziehung zu Hannah Arendt verfolgte, ohne seine Familie und seine Arbeit zu vernachlässigen, zeige - so Elzbieta Ettinger - eine kraftvolle Persönlichkeit, egozentrisch, skrupellos und gerissen. Hannah wiederum durchschaute sein Bedürfnis, sie zu beherrschen, nicht, sondern deutete es, unterstützt von Heideggers Liebeserklärungen und Gedichten, die er für sie schrieb, als Wunsch sie zu beschützen. Er habe es geschafft, so Ettinger, "diese junge, stolze Frau zu unterjochen, die bereits damals für ihre leidenschaftliche Unabhängigkeit bekannt war". Mit verschlüsselten Botschaften, mit ausgeklügelten Signalen von ein- und ausgeschalteten Lampen, bestellte er die Studentin auf die Minute genau zu sich, wenn er damit rechnen konnte, allein zu sein.
Als es für ihn gefährlich wurde, setzte er sie unter Druck, Marburg zu verlassen. "Weggegangen aus Marburg bin ich ausschließlich Deinetwegen" schrieb sie ihm 25 Jahre später. Hannah Arendt übersiedelte 1926 nach Heidelberg, um bei Karl Jaspers, den Heidegger empfohlen hatte, zu promovieren. Sie unterließ es demonstrativ, Heidegger ihre neue Adresse anzugeben, nach Ettinger ein Versuch, gegen die unmögliche Liebe anzukämpfen, die ihre Freiheit und Unabhängigkeit zerstörte. Heidegger zerbrach sich in dieser Zeit den Kopf, wie er unauffällig wieder mit ihr in Kontakt kommen könnte. Schließlich gelang es ihm über seinen Studenten Hans Jonas, der mit Arendt befreundet war, an ihre Adresse zu kommen. Heidegger organisierte nun seine Treffen sorgfältiger als vorher: sie sollte ihn auf seinem Weg von Freiburg in die Schweiz an einem kleinen Ort treffen, wo er einen Tag für sie freimachen wollte.
Im Laufe der Zeit wurde die Kommunikation immer sporadischer, wobei die Korrespondenz ausschließlich auf die Initiative von Heidegger hin erfolgte. Sie durfte nur schreiben, wenn Heidegger strikt darum bat und nicht, wenn ihr danach war. Sie schrieb diese Briefe "auf Befehl", wie sie es nannte, war aber nicht in der Lage, die Beziehung von sich aus zu beenden. Sie akzeptierte auch ohne weiteres alle Ausreden für anhaltendes Verstummen - zwanzig Jahre später nannte sie Heidegger einen Menschen, der "notorisch immer und überall lügt, wo er nur kann". Sie wiederum war im Alter von 22 Jahren dem "Fuchs", wie sie ihn nannte, nicht gewachsen.
Mitte 1928 hatte Heidegger das Gefühl, das Verhältnis nicht mehr
fortsetzen zu können. Husserl hatte ihm mitgeteilt, daß er als sein Nachfolger auf den
Freiburger Lehrstuhl berufen würde, und mit dem Erscheinen von Sein und Zeit hatte er
einen Höhepunkt seiner Laufbahn erreicht. Das Risiko, das sein Verhältnis zu einer
Studentin ans Tageslicht käme, erwies sich als zu große Belastung.
Heidegger schrieb ihr
einen Abschiedsbrief. "Ich liebe Dich", antwortete sie ihm, "wie am ersten
Tag - das weißt Du und das habe ich immer....gewußt", und schloß den Brief:
"Und wenn Gott es gibt, werd ich Dich besser lieben nach dem Tod."
Im September 1929 heiratete sie einen Studenten Heideggers, Günther Stern, der später unter dem Namen Günther Anders bekannt wurde.
"Ich war, als ich aus Marburg fortging, fest entschlossen, nie mehr einen Mann zu lieben, und habe dann später geheiratet, irgendwie ganz gleich wen, ohne zu lieben, weil ich ja nichts für mich erwartete."
Das einzige, so Ettinger, was sie erwartete, war, über Martin Heidegger hinwegzukommen. Stern schrieb in dieser Zeit an seiner Habilitation über Musikphilosophie, die aber nicht die entsprechende Anerkennung fand, er arbeitete schließlich als Journalist. Hannah Arendt recherchierte für eine Biographie über Rahel Varnhagen. Wie viele Studenten lebten die beiden von der Hand in den Mund. Eine Weile wohnten die Sterns in Berlin, zogen dann nach Frankfurt und wieder nach Berlin, wo Günther Stern seine literarische Laufbahn begann, 1933 floh er nach Paris, was faktisch das Ende der Ehe bedeutete. Hannah Arendt schrieb wiederholt an Heidegger, ohne jedoch Antwort zu erhalten. Erst Anfang 1933 fühlte er sich bemüßigt, auf Fragen von ihr zu antworten. Ob es wahr sei, daß er Juden von seinen Seminaren ausschließe und jüdische Kollegen an der Universität nicht grüße, wollte sie wissen. In wütendem Ton zählte Heidegger in seiner Antwort die Gefälligkeiten auf, die er Juden gegenüber erwiesen habe, obwohl dies für seine Arbeit störend gewesen sei.
1936 lernte Hannah Arendt in Paris Heinrich Blücher kennen, wie sie ein deutscher Flüchtling. Blücher, ein Proletarier ohne akademische Bildung, hatte in den Reihen des Spartakusbundes gekämpft. Er war Flüchtling, weil er Kommunist war, sie, weil sie Jüdin war. Nach Heideggers "erstickenden, berechnenden, oft schwülstigen, wenn auch romantischen Liebesbriefen" (Ettinger) waren diejenigen Blüchers wie ein frischer Lufthauch. Er sorgte sich um ihr geistiges und physisches Wohlergehen und übernahm in unaufdringlicher Weise Verantwortung für sie. "Als ich Dich dann traf", schieb sie 1936 an Blücher, "da hatte ich endlich keine Angst mehr...".
1946 erwähnte Hannah Arendt nach Kriegsende Heideggers Name in einem Artikel in der Partisan Review und behauptete, dieser habe "Husserl, seinem Lehrer und Freund, dessen Lehrstuhl er geerbt habe, den Zutritt zur Fakultät (verwehrt), weil Husserl Jude war". Drei Jahre später wehrte sie sich gegen die Veröffentlichung von Heideggers Brief über den Humanismus in der Neuen Rundschau, obwohl sich ihr Freund Dolf Sternberger wiederholt dafür eingesetzt hatte. An Jaspers schrieb sie 1949 über Heidegger:
"Was Sie Unreinheit nennen, würde ich Charakterlosigkeit nennen, aber in dem Sinne, daß er buchstäblich keinen hat..."
Als Forschungsleiterin (und später Generaldirektorin) der "Commission on European Jewish Cultural Reconstruction" fuhr Hannah Arendt 1949 für vier Monate nach Europa, um die jüdischen Kulturschätze, die die Deutschen geraubt hatten, zu sichten und besuchte dabei das Ehepaar Jaspers in Basel. Jaspers zeigte ihr seinen Briefwechsel mit Heidegger, worüber sie schrieb: Heideggers "Briefe an Jaspers .... alle wie früher: das gleiche Gemisch von Echtheit und Verlogenheit oder besser Feigheit".
Dennoch reiste sie nach Freiburg, ließ Heidegger den Namen ihres Hotels zukommen, worauf dieser am selben Abend persönlich bei ihr vorsprach. "Wir haben, scheint mir, zum ersten Mal in unserem Leben miteinander gesprochen", schrieb sie ihrem Mann über diesen Abend. Heidegger trat nun nicht mehr als berühmter Philosoph, sondern als gebrochener, alternder (er war 61) Mann auf, dem bösartige Verleumdungen und falsche Beschuldigungen zu schaffen machten. Am anderen Tag kam es zu einer Begegnung mit Heideggers Frau Elfride (Briefe), für die Hannah Arendt allerdings keine Sympathie empfand:
"Die Frau, fürchte ich, wird so lange ich lebe bereit sein, alle Juden zu ersäufen. Sie ist leider einfach mordsdämlich."
Heidegger empfand das Gespräch zu dritt jedoch ganz anders, nämlich als eine spontane Versöhnung in einer Atmosphäre der Klarheit und Offenheit. Er sah sogar die beiden Frauen künftig einander durch ihre Liebe zu ihm gefühlsmäßig verbunden. Zudem war er noch aus einem anderen Grund an einem guten Verhältnis zu Hannah Arendt interessiert: Sie war eine prominente Jüdin und konnte beitragen, die ständigen Anschuldigungen gegen ihn wegen seines Antisemitismus zu entkräften. Ihr wiederum - so Ettinger - kam es nie in den Sinn, daß er sie, wie früher, wenn auch in anderer Weise, für seine Zwecke benutzte.
Das Wiedersehen mit Heidegger eröffnete ein neues Kapitel in ihrer Beziehung, das fünfundzwanzig Jahre dauern sollte - bestimmt durch Perioden lebhafter Korrespondenz und anhaltenden Schweigens, durch von Elfride überwachte Besuche bei Heidegger und seltene Stunden, Kostbarkeiten für Hannah Arendt, in denen sie mit Heidegger allein war. Nach dem Besuch wurde Arendt, die sich zuvor noch vehement gegen die Veröffentlichung von Heidegger-Texten gewehrt hatte, seine aufopfernde, unbezahlte Agentin in den Vereinigten Staaten. Zudem tat sie alles, um ihn von seiner Nazi-Vergangenheit reinzuwaschen. Sogar Elfride sah schließlich die Nützlichkeit dieses Tuns ein. Zudem überschüttete Hannah Arendt ihn mit Geschenken: sämtlichen Werken Kafkas, Schallplatten, sowie ihre eigenen Bücher und Artikel, die er aber aufgrund seiner mangelhaften Englischkenntnisse nicht lesen konnte.
Im März 1952 kam Hannah Arendt erneut nach Europa. Sie plante, diesmal eine ganze Woche in Freiburg zu verbringen, und damit dies nicht auffiel, tarnte sie den Aufenthalt als Dienstreise. Das gefiel Elfride Heidegger nun gar nicht:
"Die Frau ist halb blödsinnig vor Eifersucht, die sich in den Jahren, in denen sie offenbar dauernd gehofft hat, daß er mich vergessen werde, sehr gesteigert hat. Dies äußerte sich mir in einer halb antisemitischen Szene ohne ihn. Überhaupt sind die politischen Überzeugungen der Dame ..... von aller Erfahrung ungetrübt und von einer so vernagelten, bösartigen, ressentiment-geladenen Dummheit..."
Martin Heidegger war nun für Hannah Arendt der Mann,
der die falsche Frau geheiratet und damit sein Leben verpfuscht hatte. Heidegger schien
das zu bestätigen, denn er klagte ihr seine Angst vor dem Moment, da seine beiden Söhne
(sie waren damals 30 und 31) aus dem Haus gingen und die Frau ihren einzigen Lebensinhalt
verlieren würde. Denn er sei immer erst in zweiter Linie gekommen und habe dadurch seine
Ruhe gehabt. Das sei, meinte Hannah Arendt, tragisch, da in Meßkirch ca. 50.000
ungetippte Seiten herumlägen, die die Frau in all den Jahren bequem hätte tippen
können.
Der einzige Mensch, den er wirklich habe, sei sein Bruder Fritz. Heideggers Eingeständnis seiner Probleme beeindruckte Hannah Arendt sehr - für Ettinger ein Zeichen, daß Heidegger mit ihr vorher nie über persönliche Probleme gesprochen hatte.
Im Herbst 1955 reiste sie wieder nach Europa und beabsichtigte
Heidegger erneut zu besuchen. Unterdessen war ihr Buch "Elemente und Ursprünge totaler
Herrschaft" in deutscher Übersetzung erschienen, lag in allen Buchhandlungen auf, und in
allen Zeitungen wurde über Arendts Deutschlandreise berichtet. Doch Heidegger vermied es,
sie einzuladen. Den Grund vermutet Ettinger darin, daß Heidegger seiner Schülerin den
Ruhm nicht gönnte. Zudem war ihm der Grundgedanke von "Elemente und Ursprünge totaler
Herrschaft" zutiefst zuwider: Arendt setzte den von ihm bewunderten Nationalsozialismus mit
dem Kommunismus gleich, den er verabscheute.
Damit durchlöcherte sie indirekt seine
Verteidigungsstrategie: daß er die nationalsozialistische Ideologie nur unterstützt
habe, um den Westen vor dem Kommunismus zu erretten. Hannah Arendt unternahm auch auf
ihren späteren Deutschlandreisen keinen Versuch mehr, Heidegger zu treffen. Dennoch hielt
sie unverbrüchlich an der Freundschaft fest. 1958 wurde Karl Jaspers mit dem
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, und Hannah Arendt sollte die
Laudatio halten. Sie hatte vor dieser Rede Angst, aber nicht, weil sie als Jüdin vor
Deutschen sprechen sollte, sondern weil Heidegger dies als Akt der Solidarität mit
Jaspers und als Absage an ihn interpretieren könnte.
Dabei schätzte sie Heideggers
Sensibilität kaum falsch ein. Denn als 1960 das Buch "Vita activa - Oder vom tätigen
Leben" in deutscher Übersetzung erschien, schrieb sie Heidegger:
"Du wirst sehen, daß das Buch keine Widmung trägt. Wäre es zwischen uns je mit rechten Dingen zugegangen - ich meine zwischen, also weder Dich noch mich -, so hätte ich Dich gefragt, ob ich es Dir widmen darf; es ist unmittelbar aus den ersten Marburger Tagen entstanden und schuldet Dir in jeder Beziehung so ziemlich alles".
Dieser Brief erregte Heideggers Zorn in einem Maße, daß es ihr die Sprache verschlug.
1961 besuchte sie Jaspers in Basel und reiste anschließend nach Freiburg, wo sie Heidegger schrieb, sie sei da und er könne sie erreichen. Er antwortete nicht; schließlich lud ein Juraprofessor sie ein. Hannah Arendt bat, Eugen Fink, einen Kol-legen von Heidegger, hinzuzuziehen, den sie seit ihrer Studienzeit her kannte. Fink lehnte aber die Einladung brüsk ab, mit dem Hinweis, Heidegger habe ihm dies verboten.
Erst 1966, als Hannah Arendt sechzig wurde, meldete sich Heidegger wieder bei ihr - mit Glückwünschen. Dieser Brief bereitete ihr "die größte Freude". Ein Jahr später stattete sie den Heideggers wieder einen Besuch ab, den ersten seit 1952. Sie unternahm alles, um die Beziehung zu den Heideggers zu verbessern, die beiden Frauen beschlossen sogar, einander beim Vornamen zu nennen. Heidegger verfaßte gegen Ende des Jahres zwei Gedichte für sie: "In der Dunkelheit" und "Abendlied". Und ihr Artikel über Walter Benjamin erhielt sein Lob, offenbar das erste und letzte.
Im April 1969 wandte sich Elfride an Hannah und bat sie um Hilfe. Der sich verschlechternde Gesundheitszustand ihres Mannes zwinge sie, ihr großes Haus zu verkaufen und einen kleinen, ebenerdigen Bau zu errichten. Da sie das dafür benötigte Geld nicht habe, wollten sie das Manuskript von Sein und Zeit verkaufen und bäten sie um Auskunft darüber, wer wohl daran interessiert sein könnte. Hannah Arendt empfahl das Auktionshaus J.A. Stargardt in Marburg. Frau Heidegger antwortete postwendend, eine Versteigerung erscheine ihr nicht das richtige, sie habe an eine Stiftung oder eine Bibliothek wie die Library of Congress gedacht. Hannah Arendt besuchte sofort diese Bibliothek und übersandte den Heideggers deren Bescheid: am ehesten komme das Schiller-Archiv in Marbach in Frage. Frau Heidegger schlug dies mit der Begründung ab, die Amerikaner könnten mehr zahlen als die Deutschen. Schließlich verkaufte aber Heidegger, als es ihm schlechter ging, alle seine Manuskripte an das Literaturarchiv in Marbach.
Hannah Arendt starb am 4. Dezember 1975. Heidegger überlebte sie um wenig mehr als 5 Monate. Er starb am 28. Mai 1976.
Quelle: Diese Rezension von Peter Moser erschien unter www.information-philosophie.de (Editiert)
Literatur
- Antonia Grunenberg: Hannah Arendt und Martin Heidegger. Geschichte einer Liebe., Piper Verlag, München und Zürich, 2006, ISBN 3-492-04490-5
- Catherine Clément: Martin und Hannah. Roman. Rowohlt, Berlin 2000, ISBN 3-87134-400-1 (aus d. Franz.)
- Elisabeth Young-Bruehl: Hannah Arendt. Leben, Werk und Zeit. Fischer, Frankfurt am Main 1986, ISBN 3-596-16010-3 (amerikanische Originalausgabe: Hannah Arendt. For Love of the World, Yale University Press, 1982; umfassende Biografie)
- Die Banalität der Liebe. Theaterstück von Savyon Liebrecht über Arendts Beziehung zu Heidegger. UA: 9. September 2007, Theater Bonn, Regie: Stefan Heiseke