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Hannah Arendt (1906 - 1975) war eine deutsch - amerikanische jüdische Philosophin und politische Denkerin, die 1933 vor dem Nationalsozialismus aus Deutschland floh.

Ihre 18 Bücher und zahlreichen Artikel zu Themen vom Totalitarismus bis zur Erkenntnistheorie hatten großen Einfluss auf die politische Theorie. Arendt gilt als eine der bedeutendsten politischen Philosophinnen des 20. Jahrhunderts.

Arendt war in erster Ehe von 1929 bis 1937 mit Günther Anders verheiratet. Ihr zweiter Ehemann war von 1940 bis an ihr Lebensende Heinrich Blücher.

Leben

Kindheit

Arendt wurde am 14. Oktober 1906 in Linden bei Hannover geboren. Ihre Eltern waren Paul Arendt und Martha Cohn. Im Jahr 1910 zog die Familie ins ostpreußische Königsberg, eine alte Hansestadt an der Ostsee. Ihr Vater und ihr Großvater starben kurz nacheinander im Jahr 1913. Im Jahr darauf flüchtete die Familie aus Angst vor den heranrückenden russischen Truppen nach Berlin. Nach einigen Wochen kehrten sie nach Hause zurück.
In Berlin, in der Nähe des Denkmals für die ermordeten Juden Europas mit den 2711 Betonblöcken, ist eine Straße nach ihr benannt: die Hannah-Arendt-Straße.

Studienzeit

Im Jahr 1924 begann Arendt ihr Studium der Philosophie und Theologie in Berlin. Sie setzte ihr Studium in Marburg bei Martin Heidegger fort. Thema des Seminars waren Platons Sophisten. Am 10. Februar 1925 erhielt sie den ersten Brief von Heidegger, der Beginn einer Liebesbeziehung, die etwa ein Jahr dauerte. Arendt Lebte sehr zurückgezogen und pflegte lediglich Kontakte zu ihrem Kommilitonen Hans Jonas und zu ihren Königsberger Freunden.
Es folgt ein Vorlesungssemester in Freiburg bei Edmund Husserl, dem Begründer der Phänomenologie. Bei Karl Jaspers in Heidelberg schrieb sie 1929 ihre Dissertation "Der Liebesbegriff bei Augustin".

Im Jahr 1929 heiratete sie Günther Stern (Pseudonym: Günther Anders) aus Frankfurt am Main. Arendt erhielt ein Stipendium und begann mit der Arbeit an einer Biografie über die deutsch-jüdische romantische Schriftstellerin Rahel Varnhagen, die sie aber erst 1951 veröffentlichte.

Ein anderer Kreis erschloss sich ihr durch die Freundschaft mit Benno von Wiese und die von Jaspers empfohlenen Vorlesungen von Friedrich Gundolf. Große Bedeutung hatte für sie zudem Kurt Blumenfeld, der Geschäftsführer und Hauptsprecher der deutschen Zionistenorganisation, dessen Thema die Erforschung der so genannten Judenfrage und der Assimilation war. Ihm verdanke sie, heißt es in einem Brief an ihn aus dem Jahr 1951, ihr Verständnis für die Situation der Juden.

Paris

Nachdem sie von der Gestapo verhaftet worden war und 8 Tage im Gefängnis verbracht hatte floh sie nach Paris. Dort hatte sie Kontakt zu Raymond Aron, Alexandre Koyré, Albert Camus und Jean-Paul Sartre. Sie nimmt Unterricht bei dem politischen Philosophen Alexandre Kojève.

Im französischen Exil verband sie eine enge Freundschaft mit dem damals noch weitgehend unbekannten Walter Benjamin, den sie auch materiell unterstützte. Nachdem er sich 1940 das Leben genommen hatte, setzte sie sich 1945 vergeblich beim Schocken-Verlag für die Veröffentlichung seiner Werke ein. Erst 1968 konnte sie seine Essays – mit Anmerkungen und einem Vorwort versehen – in den USA herausgeben.

Von 1935 bis 1938 arbeitet sie für die "Kinder- und Jugend-Alija", eine zionistische Organisation, die Kinder jüdischer Flüchtlinge in das britische Mandatsgebiet Palästina umleitet. Sie unternahm ihre erste Reise in das britische Mandatsgebiet Palästina.

Im Frühjahr 1936 lernte sie den Philosophen Heinrich Blücher kennen. Im Jahr 1937 ließ sie sich offiziell von Günther Stern scheiden. Im selben Jahr wurde ihr die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Im Jahr 1940 heiratete sie Heinrich Blücher. Für Blücher war es die dritte Ehe.

Im Mai 1940 marschierten die Deutschen in Frankreich ein. Als staatenlose Person deutscher Abstammung wurde Arendt als potenziell feindlich eingestuft und von den französischen Behörden mehrere Wochen lang interniert, zunächst in einem Radstadion in Paris und dann in Gurs, Südfrankreich.

New York

Aus dem besetzten Frankreich flohen Hannah Arendt und Heinrich Blücher 1941 über Spanien nach Lissabon und per Schiff weiter nach New York, wo sie im Mai ankamen. Bei seiner Einreise verschwieg Blücher seine frühere Mitgliedschaft in der KPD und konnte als Militärexperte an Dokumentationen des amerikanischen Militär-Geheimdienstes mitarbeiten.

Bis Heinrich Blücher 1951 Philosophie-Kurse an einem College erteilen konnte, sorgte Hannah Arendt nahezu alleine für den Lebensunterhalt der Familie.

Arendt arbeitete bis 1945 an der deutschsprachigen jüdischen Wochenzeitung Aufbau mit. In Amerika entwickelte sie die Erkenntnisse, die sie berühmt machen sollten. Mit Jaspers war sie zu dieser Zeit noch befreundet. 1944 arbeitete Arendt als Vorstandsmitglied der Organisation für den kulturellen Wiederaufbau der europäischen Juden, 1948 übernahm sie die Geschäftsführung. 1946 war Arendt Lektorin im Verlag Salman Schocken in New York. Sie arbeitete an der Veröffentlichung der englischen Übersetzung der gesammelten Werke von Franz Kafka mit, darunter Kafkas Tagebücher.

Nachkriegszeit

Im November 1949 kehrte sie im Rahmen ihrer Arbeit für den jüdischen kulturellen Wiederaufbau zum ersten Mal nach dem Krieg nach Europa zurück und besuchte Karl und Gertrud Jaspers in Basel. 1950 besuchte sie Heidegger in Freiburg, nachdem sein Lehrverbot aufgehoben worden war.

Die Veröffentlichung ihres dreibändigen Werks "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" (The Origins of Totalitarianism; 1951), in dem sie dem Begriff seine heutige Bedeutung gibt, macht sie einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Im selben Jahr erhielten Arendt und Blücher nach 18 Jahren Staatenlosigkeit die amerikanische Staatsbürgerschaft. Ihre akademische Karriere in den USA begann mit Vorlesungen in Princeton, Berkeley, Columbia, Harvard und an der Notre Dame University in Indiana.

In den Vereinigten Staaten wurde die Rassentrennung in den Südstaaten ab Mitte der 1950er Jahre zu einem nationalen Thema. Arendt veröffentlichte einen Artikel, nachdem Präsident Eisenhower Bundestruppen nach Little Rock, Arkansas, entsandt hatte, nachdem es zu gewalttätigen Zwischenfällen an einer High School gekommen war, die keine schwarzen Schüler aufnehmen wollte.
Im Jahr 1958 erschienen ihre Werke "The Human Condition" (dt. Vita activa oder Vom tätigen Leben) und "Rahel Varnhagen: The Life of a Jewess" (dt. Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik.). Im folgenden Jahr unternahm sie mehrere Studienreisen durch Europa und erhielt den Lessing-Preis der Stadt Hamburg.

Als Karl Jaspers 1958 den "Friedenspreis des Deutschen Buchhandels" erhielt, hatte Arendt vor der Laudatio auf ihn zunächst wegen ihrer engen Freundschaft – vielleicht auch wegen ihrer Freundschaft mit Heidegger – Skrupel, die Festrede zu halten. Jaspers bat jedoch darum. Bei dieser Gelegenheit setzte sie sich mit den Vorstellungen von „Öffentlichkeit“, „Person“ und „Werk“ auseinander: Nach Cicero wird mit einer Laudatio die „Würde eines Menschen“ in der „Öffentlichkeit“ und nicht nur von Fachkollegen gefeiert.
Aus Arendts Sicht geht zwar der „Arbeitsprozess“ die Öffentlichkeit nichts an, aber in Werken, welche nicht rein akademisch sind, sondern Resultate „lebendigen Handelns und Sprechens“, erscheine eine „Personhaftigkeit“, die römische „humanitas“, die Kant und Jaspers „Humanität“ nennen. Diese Humanität könne nur erreichen, wer seine Person und das damit verbundene Werk „dem Wagnis der Öffentlichkeit“ aussetze.

Am 11. April 1961 begann in Jerusalem der Eichmann-Prozess, den Arendt als Journalistin aufmerksam verfolgte. Das Todesurteil wurde Ende Dezember desselben Jahres verkündet und 1962 vollstreckt. Sie veröffentlichte Eichmann in Jerusalem und 3 Jahre später hielt sie die Vorlesung Über das Böse.

Sie wurde Professorin an der Universität von Chicago und blieb dies bis 1968. Danach wurde sie Professorin an der New School for Social Research in New York, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1975 tätig war.

Nach dem Tod ihres Mannes Heinrich Blücher im Jahr 1970 und ihres Freundes Jaspers (1883 -1969) widmete sie sich ganz der Philosophie. Am 18. April 1975 erhielt Arendt in Kopenhagen den Sonning-Preis für ihren Beitrag zur europäischen Zivilisation. Am 12. August 1975 stattet Arendt ihrem Freund Heidegger in Freiburg einen letzten Besuch ab.

Am 4. Dezember 1975 starb Arendt unerwartet an einem Schlaganfall in ihrer New Yorker Wohnung. Ihre Asche wurde neben der ihres Mannes auf dem Friedhof des Bard College, Dutchess County, New York beigesetzt.

Werk

Als politische Theoretikerin schrieb Arendt geistesgeschichtliche Werke, in denen sie anhand von Ereignissen und Handlungen Erkenntnisse über zeitgenössische totalitäre Bewegungen und die Bedrohung der menschlichen Freiheit durch wissenschaftliche Abstraktion und bürgerliche Moral entwickelte. Intellektuell war sie eine unabhängige Denkerin, eine Einzelgängerin, keine „Mitläuferin“, die sich von Denkschulen oder Ideologien abgrenzte.

Politisches Handeln könne Arendt zufolge niemals auf einer abgegrenzten Doktrin wie dem Sozialismus, Liberalismus oder Konservatismus beruhen, sondern müsse von der menschlichen Pluralität ausgehen, von der Vielzahl möglicher Standpunkte in einer Sache. Politisches Handeln ist die schwierige Kunst des Urteilens (vgl. Kant) unter Berücksichtigung der menschlichen Vielfalt in einer gegebenen historischen Situation (vgl. Max Weber).

Der Liebesbegriff bei Augustin

"Der Liebesbegriff bei Augustin. Versuch einer philosophischen Interpretation" ist die Dissertation der politischen Philosophin Hannah Arendt und zugleich das erste von ihr überlieferte Buch. Es erschien erstmals 1929 und wurde zu ihren Lebzeiten nicht wieder aufgelegt. Die von Arendt 1964/65 teilweise weiterentwickelte englisch-amerikanische Ausgabe kam erst 1996 heraus.

Das Werk ist maßgeblich vom Gedankengut ihrer beiden Lehrer, Martin Heidegger und Karl Jaspers inspiriert. Arendt befasst sich mit 3 Konzepten der Liebe in den Schriften des christlichen Philosophen und Kirchenlehrers Augustinus von Hippo (354–430). Es besteht aus 3 Teilen: Liebe als Verlangen, die Beziehung zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf, das Leben in der Gesellschaft.

Der Begriff "amor mundi" (Liebe zur Welt) wird oft mit Arendt in Verbindung gebracht und durchdringt ihr Werk und war eine fesselnde Leidenschaft. Zu den weiteren Themen, die für ihr späteres Werk von zentraler Bedeutung sind, gehören die „Natalität“ (Gebürtlichkeit) als Schlüsselbedingung der menschlichen Existenz und ihre Rolle in der Entwicklung des Individuums.

Rahel Varnhagen

Arendts Habilitationsschrift "Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik" wurde 1938 im Pariser Exil fertiggestellt, aber erst 1957 in Großbritannien von der zum Leo Baeck Institute gehörenden East and West Library veröffentlicht.

Diese Biografie einer jüdischen Sozialistin des 19. Jahrhunderts war ein wichtiger Schritt in ihrer Analyse der jüdischen Geschichte und der Themen Assimilation und Emanzipation und führte ihre Behandlung der jüdischen Diaspora als Paria oder Parvenü ein. Außerdem stellt es eine frühe Version ihres Geschichtsbegriffs dar.

Das Buch ist Anne Mendelssohn gewidmet, die sie erstmals auf Varnhagen aufmerksam gemacht hatte. Arendts enge Beziehung zu Varnhagen durchdringt ihr späteres Werk. Ihre Darstellung von Varnhagens Leben wurde in einer Zeit der Zerstörung der deutsch-jüdischen Kultur wahrgenommen. Sie spiegelt teilweise Arendts eigene Sicht auf sich selbst als deutsch-jüdische Frau wider, die aus ihrer eigenen Kultur in eine staatenlose Existenz getrieben wurde, was zu der Beschreibung "Biographie als Autobiographie" führte.

Totalitarismus

Arendts erstes großes Buch, "The Origins of Totalitarianism" (1951; dt. Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft), untersuchte die Wurzeln des Stalinismus und des Nationalsozialismus und gliederte sich in die 3 Essays „Antisemitismus“, „Imperialismus“ und „Totalitarismus“.

Das Buch beschreibt die verschiedenen Voraussetzungen und den anschließenden Aufstieg des Antisemitismus in Mittel-, Ost- und Westeuropa Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts; dann untersucht es den Neuen Imperialismus von 1884 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs (1914-18); schließlich zeichnet es die Entstehung des Rassismus als Ideologie und seine moderne Anwendung als "ideologische Waffe für den Imperialismus" durch die Buren während des Großen Trecks im frühen 19. Jahrhundert.

Arendt argumentiert, dass der Totalitarismus eine „neuartige Regierungsform“ sei, die sich „von anderen uns bekannten Formen politischer Unterdrückung wie Despotismus, Tyrannei und Diktatur wesentlich unterscheidet“, da sie Terror zur Unterwerfung von Massenbevölkerungen und nicht nur von politischen Gegnern anwendet. Die Autorin behauptete auch, dass das Judentum nicht der entscheidende Faktor im Holocaust war, sondern lediglich ein bequemer Stellvertreter, da es dem Nationalsozialismus um Terror und Konsequenz ging und nicht nur um die Ausrottung der Juden. Arendt erklärte die Tyrannei mit Kants Begriff des „radikal Bösen“, durch den ihre Opfer zu „überflüssigen Menschen“ wurden. In späteren Auflagen erweiterte sie den Text um ihre Arbeit über „Ideologie und Terror: Eine neuartige Regierungsform" und die ungarische Revolution, veröffentlichte letztere aber separat.

Vita activa oder Vom tätigen Leben

Vita activa oder Vom tätigen Leben ist das philosophische Hauptwerk der politischen Theoretikerin Hannah Arendt. Die auf Vorlesungen beruhende Arbeit wurde zunächst 1958 in den USA unter dem Titel "The Human Condition" veröffentlicht. Die deutsche Fassung, die sie selbst übersetzt hatte, erschien 1960.

Vor dem Hintergrund der Geschichte politischer Freiheit und selbstverantwortlicher aktiver Mitwirkung der Bürger am öffentlichen Leben in den USA entwickelte Arendt darin eine Theorie des politischen Handelns.

Arendts Text ist in 6 Hauptkapitel untergliedert:
Das Eröffnungskapitel "Die menschliche Bedingtheit" ist der Entwicklung ihres Leitbegriffs, der Vita activa, gewidmet.
Das zweite Kapitel dient der Unterscheidung zwischen dem „Raum des Öffentlichen“ und dem „Bereich des Privaten“.
In den anschließenden Kapiteln 3 bis 5 stellt sie unter den Überschriften Die Arbeit, Das Herstellen und Das Handeln jeweils zentrale menschliche Hervorbringungsprozesse in den Mittelpunkt ihrer Analyse.
Im Schlusskapitel "Die Vita activa und die Neuzeit" beschreibt sie die einschneidenden Wandlungsprozesse zwischen europäischer Vormoderne und Moderne und endet mit ihrer Diagnose vom „Sieg des Animal laborans“, wonach das politische Handeln durch Konformität und Funktionalität begrenzt werde.

Im Gegensatz zu Heidegger begründet Arendt ihr Denken von der Geburt des einzelnen Menschen her und nicht vom Tod. In Vita activa führt sie diesen Gedanken der „Gebürtlichkeit“ („Natalität“) aus. Mit der Geburt beginne die Möglichkeit, einen Anfang machen zu können. Das Individuum habe die Aufgabe, in Kooperation mit anderen Individuen die sie umgebende Welt aktiv zu beeinflussen, zu formen. Dabei geht es ihr um die basalen Existenz- und Persistenzbedingungen menschlichen Lebens, die sie auf drei „Grundtätigkeiten“ beschränkt: „Arbeiten, Herstellen und Handeln“ (nach den altgriechischen Begriffen ponos, poiesis und prāxis). Als davon unabhängig und letztlich nicht beschreibbar charakterisiert sie das menschliche „Wesen“ bzw. die menschliche „Natur“, die weder terminologisch noch ontologisch zu definieren seien.
„Versuche, das Wesen des Menschen zu bestimmen, [enden] zumeist mit irgendwelchen Konstruktionen eines Göttlichen.“

Zwischen Vergangenheit und Zukunft

"Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken" ist ein Sammelband mit 8 Essays, die zwischen 1954 und 1968 geschrieben wurden und sich mit einer Vielzahl unterschiedlicher, aber miteinander verbundener philosophischer Themen befassen. Diesen Essays ist der zentrale Gedanke gemeinsam, dass der Mensch zwischen der Vergangenheit und der ungewissen Zukunft lebt. Der Mensch muss ständig denken, um zu existieren, aber er muss das Denken lernen. Der Mensch hat auf die Tradition zurückgegriffen, gibt aber den Respekt vor dieser Tradition und Kultur auf. Arendt versucht, Lösungen zu finden, die dem Menschen helfen, wieder zu denken, da es der modernen Philosophie nicht gelungen ist, dem Menschen zu helfen, richtig zu leben.

Über die Revolution

In ihrem Buch "Über die Revolution" (1963) vergleicht Arendt 2 der wichtigsten Revolutionen des 18. Jahrhunderts, die amerikanische und die französische Revolution. Sie wendet sich gegen einen weit verbreiteten Eindruck marxistischer und linker Ansichten, wenn sie argumentiert, dass Frankreich, obwohl gut studiert und oft nachgeahmt, eine Katastrophe war und dass die weitgehend ignorierte Amerikanische Revolution ein Erfolg war. Der Wendepunkt in der Französischen Revolution trat ein, als die Anführer ihre Freiheitsziele verwarfen, um sich auf das Mitleid mit den Massen zu konzentrieren. In den Vereinigten Staaten haben die Gründer niemals das Ziel der Constitutio Libertatis verraten. Arendt glaubt jedoch, dass der revolutionäre Geist dieser Männer verloren gegangen ist, und plädiert für ein "Rätesystem" als geeignete Institution, um diesen Geist wiederzuerlangen.

Menschen in finsteren Zeiten

Der Essayband "Menschen in finsteren Zeiten" (Originalfassung: Men in Dark Times. New York 1968) präsentiert intellektuelle Biographien einiger kreativer Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, wie Walter Benjamin, Karl Jaspers, Rosa Luxemburg, Hermann Broch, Papst Johannes XXIII. und Isak Dinesen.

Zionismus

Arendt glaubte, dass weder Herzls Vision eines jüdischen Staates noch die zionistische Praxis die lang erwartete Lösung für den jahrhundertelangen Antisemitismus bieten würden. Im Gegenteil, es provoziert selbst Antisemitismus, weil es die Bevölkerung des Landes nicht berücksichtigt. Sie sah voraus, dass Israel für die in der Diaspora verbliebenen Juden zu einer neuen Quelle der Spannungen werden würde und dass die palästinensischen Araber gezwungen sein würden, das Land zu verlassen oder Bürger zweiter Klasse zu sein.

Sie brach mit der Zionistischen Weltorganisation, nachdem diese 1942 auf der Biltmore-Konferenz in New York einen jüdischen Staat befürwortete , in dem die arabische Bevölkerung nur Minderheitenrechte haben sollte, und im folgenden Jahr in der Abschlusserklärung ihrer Konferenz in Atlantic City diese lokale Bevölkerung nicht einmal erwähnte.

Politische Theorie

Hannah Arendt ist von einer umstrittenen Denkerin zu einer Klassikerin der modernen politischen Theorie avanciert. Das Interesse an ihrem Denken, das aus den Erfahrungen von Flucht und Staatenlosigkeit schöpft und zugleich zentrale Phänomene des 21. Jahrhunderts vorwegnimmt, hat weltweit zugenommen. Viele Linien, die von ihrem Denken ausgehen, führen zu dem, was wir heute Zivilgesellschaft nennen.

Arendts Erfahrungen mit Nationalsozialismus und Stalinismus hat sie zu der Überzeugung geführt, dass Freiheit, freies verantwortliches Handeln den Sinn von politischem Handeln ausmacht. Ihre politische Theorie beruht auf einem auf Pluralität aufbauenden Verständnis einer freien politischen Gesellschaft als einem durch öffentliche Debatte und politisches Handeln ständig lebendig zu erhaltenden Ort der Zivilisation. Mit Immanuel Kant und Karl Jaspers stimmt sie überein: dass „alles Handeln die Verantwortung für die Menschheit mit übernehmen müsse“. Ihre Schriften sperren sich gegen die üblichen Einordnungsversuche in links und rechts, liberal und konservativ. Mit Blick auf ihren aristotelischen Begriff des Politischen fragt man, ob damit Politik in der Moderne möglich ist; ein Begriff mit einer elitären Note, der dem modernen Anspruch auf soziale Emanzipation und Demokratisierung aller Lebensbereiche widerspräche. Arendt war sich bewusst, dass politische Freiheit die Befreiung der Individuen von Zwang und Not voraussetzt, wie sie 1967 in einem Vortrag, der erst jetzt aus dem Nachlass unter dem Namen Die Freiheit frei zu sein publiziert worden ist, unterstreicht.

Revolution und Handeln sind die beiden Paradigmen ihres Denkens. Arendt sieht den Sinn von Revolutionen in „der Verwirklichung eines der größten und grundlegendsten Potentiale, nämlich die unvergleichliche Erfahrung, frei zu sein für einen Neuanfang, woraus der Stolz erwachse „die Welt für einen Novus Ordo Saeculorum geöffnet zu haben“. (1) Was im Selbstverständnis der Neuzeit als großer Fortschritt gilt, Emanzipation der Arbeiterschaft und der Frau, wird von Arendt dagegen als sekundäre politische Leistung gesehen. Die Amerikanische Revolution ist hingegen für sie das Paradigma einer wahrhaft geglückten Revolution. Sie war eine politische ohne soziale Revolution, eine Staatsgründung ohne Klassenkampf, Terror und Tote.

Gleichwohl begeisterte sie sich für die Geschichte der Arbeiter-, insbesondere der revolutionären Rätebewegungen und sympathisierte mit der radikaldemokratischen Studentenbewegung der späten 60er Jahre.Manche Ziele der Bewegung, wie in Amerika, begrüßte sie, andere hielt sie „für verstiegen und gefährlichen Unsinn“, wie etwa die Politisierung und Umfunktionierung der Universitäten und ähnliche Dinge“ (2). Die „einzige positive Losung der neuen Bewegung, der Ruf nach ‚Mitbestimmungsdemokratie‘, also eine linke Kritik am Parlamentarismus, stamme „aus dem Besten der revolutionären Tradition: dem Rätesystem“. Dazu bedürfe es nicht der Gewalt – allein des passiven Widerstandes. Im Rätestaat sieht Arendt einen Ansatz für einen neuen Staatsbegriff, ein föderales System, „das von unten beginnt, sich nach oben fortsetzt und schließlich zu einem Parlament führt“ (3). Räte sollen die Nachteile einer nach Parteien organisierten Volksvertretung, die durch Klasseninteressen bestimmt sei, überwinden. Welchen Zweck Räte verfolgen sollen, wie das Gemeinwohl verstanden und in dieses Konzept integriert werden kann, lässt Arendt offen. Ihr schwebt eine „aristokratische Staatsform“ vor, die „nicht mehr zu dem Mittel der allgemeinen Wahlen“ greift.

„Öffentliche Freiheit, öffentliches Glück und die Verantwortung für öffentliche Angelegenheiten“ solle nur denen zufallen, „die in allen Gesellschafts- und Berufsschichten daran Geschmack“ fänden und denen es um mehr gehe als um ihr „privates Wohlergehen“. „Nur wer an der Welt wirklich interessiert sei“, so Arendt, solle „eine Stimme haben im Gang der Welt“ (4). Damit reduziert Arendt das moderne Gleichheitspostulat auf das der Chancengleichheit. Die Aussichten für die Realisierung eines Rätestaates hielt sie für sehr gering, „immerhin – vielleicht doch im Zuge der nächsten Revolution“ (5).

  1. Hannah Arendt: Die Freiheit, frei zu sein, München 2018, S. 38.
  2. Hannah Arendt: Macht und Gewalt, München 19949, S. 107.
  3. Ebd., S. 132.
  4. Hannah Arendt: Über die Revolution, München 2020, S. 417.
  5. Hannah Arendt: Macht und Gewalt, München 1994, S. 133.

Autor: Bruno Heidlberger, Zur Aktualität Hannah Arendts; aus: Heft 4/2021, S.106-114

 

Quelle: Diese Rezension erschien unter www.information-philosophie.de (Editiert)

 

Schriften (Auswahl)

Literatur

Hannah Arendt im Gespräch mit Günter Gaus. Zur Person – Porträts in Fragen und Antworten. Gespräch, ZDF, 72 Min., 28. Oktober 1964. Das Fernsehinterview ist verfügbar in der ZDF-Mediathek - sehr Sehenswert! Vgl. "Günter Gaus - Die Klassischen Interviews" - DVD Ausgabe.

Der Spielfilm mit dem Titel "Hannah Arendt – Ihr Denken veränderte die Welt." (2012) unter der Regie von Margarethe von Trotta und mit Barbara Sukowa in der Hauptrolle, reiht sich mühelos in die unteren Etagen völlig verhunzter Deutscher BioPics / Literaturverfilmungen ein.
Die Darbietung von Barbara Sukowa ist, auf die schlimmste Art und Weise, vollgepackt mit übertriebener Schauspielerei (over-the-top acting), und voller Manierismen, die dafür sorgen, dass ihre "Show" jegliche Substanz übertüncht.