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Joachim Ritter (1903 - 1974) war ein deutscher Philosoph und Begründer der Liberal-konservativen „Ritter-Schule“.

Leben

Geboren am 3. April 1903 in Geesthacht, studierte Ritter Philosophie, Theologie, Germanistik und Geschichte in Heidelberg, Marburg, Freiburg und Hamburg.

Als Schüler von Martin Heidegger und Ernst Cassirer promovierte er 1925 in Hamburg mit einer Dissertation über Nikolaus von Kues und war dort Assistent und Dozent von Cassirer. In den späten 1920er und frühen 1930er Jahren war er Marxist. 1937 wurde er Mitglied der NSDAP und 1940 Offizier der deutschen Wehrmacht.

Von 1946 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1968 war er ordentlicher Professor für Philosophie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, unterbrochen von einer Gastprofessur in Istanbul (1953–1955).

Sein Sohn war der Kultur- und Wissenschaftsjournalist und Schriftsteller Henning Ritter (1943 - 2013).

Joachim Ritter verstarb am 3. August 1974 und wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg beigesetzt. Seit dem Tod seiner Witwe Edith Ritter befindet sich das Grab auf dem Friedhof Neuenheim in Heidelberg.

Werk

Ritters philosophisches Werk konzentriert sich auf eine Theorie der Moderne. In einer liberalen Interpretation von G. W. F. Hegels Rechtsphilosophie entwickelte er die Auffassung, dass die „Bifurkation“ die konstitutive Struktur der modernen Welt und eine notwendige Voraussetzung für die universelle Verwirklichung der individuellen Freiheit ist.

"Für Ritter war die Art charakteristisch, wie er Fragen stellte. Bei philosophischen Positionen fragte er nicht: Ist das wahr oder falsch, sondern: Was bedeutet das? Damit war man aufgefordert, die Relevanz eines Gedankens im Kontext der Geschichte und Entwicklung des menschlichen Geistes zu erörtern." [Quelle: www.information-philosophie.de]

Nach Ritters Theorie der Kultur als Kompensation haben die Künste und Geisteswissenschaften die Funktion, den entzauberten, ahistorischen Zustand der modernen Gesellschaft auszugleichen. Mit seinen Arbeiten zur Ethik und politischen Theorie des Aristoteles leitete er neben Hans-Georg Gadamer die Erneuerung der praktischen Philosophie in Deutschland ein.

"Die These von der kompensatorischen Rolle der Geisteswissenschaften war erstmals 1961 von Joachim Ritter entwickelt worden, und sie wurde wegen ihres konservativen Charakters vielfach kritisiert. So warf ihr Wolfgang Kersting vor, die Arbeitsteilung zwischen Geistes und Naturwissenschaften zu simplifizieren. Auch Habermas bezweifelte, dass Geisteswissenschaften eine kompensatorische Rolle übernehmen könnten, denn mit dem Hinweis auf ihre Funktion lasse „sich schwerlich die theoretische Geltung ihrer Inhalte begründen“: „Die geisteswissenschaftliche Musealisierung gibt den entwerteten Traditionsmächten ihre bindende Kraft nicht zurück.“" [Quelle: www.information-philosophie.de]

Ritter selbst werden aufgrund einschlägiger Veröffentlichungen zur NS-Zeit Beteiligungen an „nationalsozialismuskonformen philosophischen Unternehmungen“ und ein „eleganter Opportunismus“ zugeschrieben, der „auf eine Germanisierung der Ursprünge der europäischen Moderne abzielt“ [Reinhold Aschenberg: Ent-Subjektivierung des Menschen. Lager und Shoah in philosophischer Reflexion].

Ritter hatte in kritischer Zustimmung zur „Moderne“ prominent einen politischen und kulturphilosophischen Konservativismus vertreten – ein Programm, das etwa Rohrmoser entschieden aufgriff. Ritters politische Philosophie orientiert sich vor allem an Aristoteles und Hegel, setzt sich aber auch mit Arnold Gehlen , Ernst Jünger und Carl Schmitt auseinander. Viele Mitglieder der Ritter-Schule folgten seinem Beispiel.

Die Beschäftigung mit Aristoteles (v. a. Das bürgerliche Leben. Zur aristotelischen Theorie des Glücks, 1956; Zur Grundlegung der praktischen Philosophie bei Aristoteles, 1960) führt Ritter zur Entwicklung einer Konzeption Praktischer Philosophie als „Hermeneutik der geschichtlichen Welt“. Die Aufgabe der praktischen Philosophie besteht nicht vorrangig im Aufstellen abstrakter moralischer Normen oder dem Entwurf neuer politischer Ordnungen, sondern in der Auslegung der konkreten, geschichtlich gewordenen Wirklichkeit auf die ihr selbst bereits innewohnende Vernunft hin, die sich insbesondere in den politischen und gesellschaftlichen Institutionen materialisieren.

Historisches Wörterbuch der Philosophie

Insbesondere das Projekt des Historischen Wörterbuchs der Philosophie (HWPh), des weltweit größten philosophischen Wörterbuchs, beschäftigte auch viele Vertreter der „Ritter-Schule“ über Jahrzehnte. Es versteht sich als „völlig neubearbeitete Ausgabe“ des "Wörterbuchs der philosophischen Begriffe" von Rudolf Eisler (1873 - 1926). Im Vorwort zum ersten Band beruft sich der Hauptherausgeber Ritter unter anderem auf Gadamer und Erich Rothacker.

Die ursprüngliche Methodik dieses Werkes wurde divergent kommentiert, etwa als „Fortführung des – theorieabstinenten, systematischen und damit insbesondere alles transzendentale Denken ablehnenden – gedanken- und begriffsgeschichtlichen Ansatzes, dessen Protagonist Rothacker war“. Reinhold Aschenberg meint, dass Rothacker (der Gründer des Archivs für Begriffsgeschichte ), Gadamer und Ritter ein „dominantes Triumvirat“ bildeten, dem es „ab der zweiten Hälfte der vierziger Jahre gelang, die vom Nationalsozialismus geförderte Unterdrückung allen systematischen und kritischen Denkens ohne Unterbrechung fortzusetzen und durch jene gewissermaßen ‚historische‘ Orientierung zu ersetzen“, die „bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts so charakteristisch für die Philosophie der Bundesrepublik Deutschland werden sollte.“

Im internationalen Diskurs wird das Historische Wörterbuch heute allgemein als ein maßgebliches Standardwerk der philosophie- und begriffsgeschichtlichen Forschung anerkannt.

Schriften (Auswahl)

In den gängigen Philosophenlexika sind die Einträge zur Person Ritters spärlich; sein schmales Werk steht im Schatten ungleich prominenterer Generationsgenossen wie Adorno, Gehlen oder Gadamer. Ritter hat das berühmte „Historische Wörterbuch der Philosophie“ initiiert, mit diesem ist das „Collegium Philosophicum“ verbunden, dessen Mitglieder (und wiederum deren Schüler) eine Vielzahl von Artikeln für das Wörterbuch verfassten.

Literatur