Robert Spaemann (1927 - 2018) war ein deutscher katholischer Philosoph und gilt als Mitglied der Liberal-konservativen „Ritter-Schule“.
Spaemanns Schwerpunkt lag auf der christlichen Ethik. Er war bekannt für seine Arbeiten zur Bioethik, Ökologie und zu den Menschenrechten. Er gilt auch als Vertreter einer aristotelisch geprägten Naturphilosophie.
Obwohl er nur in wenige Sprachen übersetzt wurde, war Spaemann international bekannt, und sein Werk wurde von Papst Benedikt XVI. hoch geschätzt. Er war auch ein persönlicher Berater von Papst Johannes Paul II. und ein Freund von Joseph Ratzinger.
Leben
Robert Spaemann wurde am 5. Mai 1927 als Sohn von Heinrich Spaemann und Ruth Krämer in Berlin geboren. Seine Eltern waren ursprünglich radikale Atheisten, traten aber beide 1930 in die katholische Kirche ein, und nach dem frühen Tod der Mutter wurde der Vater 1942 zum katholischen Priester geweiht.
"Spaemann war seit seiner Jugend religiös geprägt. Der von seinem Elternhaus überlieferte Glaube, dass das Gotteserlebnis das Wichtigste ist, gab ihm einen tiefen Halt. Der Nationalsozialismus stieß ihn deshalb ab. Das Verhalten gegenüber den Juden war ihm der augenfälligste Beweis für deren Barbarei. Es fiel jedem auf, dass die Leute mit dem Stern plötzlich verschwunden waren. Das Gerücht wurde gestreut, sie machten einen Arbeitseinsatz für die Kriegsindustrie. Die Leute ohne Stern glaubten dieses Gerücht nur zu gerne.
Spaemann wollte es aber genauer wissen und fragte Soldaten, die aus dem Osten zum Heimaturlaub kamen. Nach einem halben Jahr wusste er Bescheid. Er wusste, dass die Juden vergast wurden. Wenn die Leute nach dem Krieg sagten, sie hätten es nicht gewusst, so ist das Spaemann zufolge die Wahrheit. Aber warum wussten sie es nicht? Sie wollten es nicht wissen.
Sollte das Reich des Bösen die Zukunft bestimmen, wollte Spaemann Gärtner werden: an der vegetativen Natur endet der politische Totalitarismus.
Einmal allerdings geriet er in Gefahr. An einem Vormittag, als der Zeichensaal leer war, zeichnete er an die Tafel eine Hitlerkarikatur und schrieb darunter: „Achtung! Totengräber Deutschlands!“. Die Zeichenlehrerin, eine echte Nationalsozialistin, zitierte den Direktor hierbei und verlangte umgehend, die geheime Staatspolizei kommen zu lassen, um den Täter ausfindig zu machen. Der Direktor nahm darauf einen Schwamm und ehe sich’s die Dame versah und empört von Strafvereitelung sprach, war das Corpus delicti ausgewischt. Der Direktor rechtfertigte sich: „Frau Kollegin, ich kann nicht zulassen, dass unsere Schüler dieses bösartige Produkt der Feindpropaganda zu Gesicht bekommen. Sofort weg damit!“.
Nach dem Krieg sprach der Direktor Spaemann an: „Sagen Sie mal, das waren doch Sie, damals im Zeichensaal?“. Der Direktor hatte während des Unterrichts ähnliche, aber unverfängliche Karikaturen bei Spaemann entdeckt und ihm mit seiner Handlung das Leben gerettet. Er verlor später durch die Entnazifizierung sein Amt, nicht dagegen die Zeichenlehrerin: Sie machte Karriere und bekam staatliche und kirchliche Orden." [Quelle: www.information-philosophie.de]
Spaemann studierte Philosophie, Geschichte, Theologie und Romanistik an den Universitäten Münster, München, Fribourg und Paris. Er wurde 1952 bei Joachim Ritter mit einer Dissertation über Louis-Gabriel-Ambroise de Bonald promoviert. Vier Jahre lang war er Lektor im Kohlhammer Verlag, danach wissenschaftlicher Assistent in Münster. Dort habilitierte er sich 1962 in Philosophie und Pädagogik mit einer Arbeit über François Fénelon.
"Kurz nach seiner Habilitation wurde Spaemann zum Ordinarius für Philosophie an der Technischen Hochschule Stuttgart berufen, eine Professur, die er fünf Jahre lang innehatte. Diese Technische Hochschule hatte bereits eine Professur für Philosophie, die von Max Bense wahrgenommen wurde. Dieser beschäftigte sich mit Logik und Wissenschaftstheorie und vertrat zudem eine Ästhetik, die versuchte, das, was Kant „begriffloses Wohlgefallen“ nennt, zu mathematisieren. Zudem vertrat er einen offensiven Atheismus, was zu Debatten im baden-württembergischen Landtag führte. Man beschloss, einen ordentlichen Lehrstuhl für Philosophie (im Unterschied zur Professur von Bense) einzurichten, auf den nun zum Entsetzen Benses Spaemann berufen wurde. Spaemann hielt seine Antrittsvorlesung über „Die zwei Grundbegriffe der Moral“ vor überfülltem Audimax, aber Bense hatte seinen Mitarbeitern verboten, dorthin zu gehen. Um das Verhältnis mit Bense zu normalisieren, wartete Spaemann nach einer Vorlesung Benses vor dem Institutsgebäude auf diesen und sprach ihn an: „Herr Bense, man sagt mir, Sie wollten mich nicht sprechen, aber ich möchte das doch gerne von ihnen selbst hören.“ Damit war das Eis gebrochen. Bense klagte, er habe nur eine außerordentliche Professur, während Spaemann ordentlicher Professor sei. Spaemann setzte sich nun mit Erfolg dafür ein, das zu ändern, was in der Folge zu einem guten Verhältnis mit Bense führte. Eines Tages rief Bense Spaemann an. Der Landtag hatte sich erneut mit ihm beschäftigt. Bense hatte in einer Vorlesung das gescheiterte Attentat auf Papst Paul VI. verteidigt: Der Papst sei ein geistiger Tyrann, und Tyrannenmord sei zu rechtfertigen. Nun wollte der Landtag Bense entlassen. „Spaemann, wat soll ich machen? Ich brauch doch dat Geld“. Spaemann empfahl ihm, an den Landtag zu schreiben, er habe den Tyrannenmord verteidigen wollen, sich aber „leider am Beispiel vergriffen.“ Bense behielt seine Professur." [Quelle: www.information-philosophie.de]
Im Jahr 1969 erhielt er, im Alter von erst 40ig Jahren, einen Ruf als Nachfolger von Hans-Georg Gadamer, der als Professor für Philosophie an der Universität Heidelberg in den Ruhestand ging. Diese Episode war jedoch relativ kurz, da er sich entschied, die renommierte Professur in Heidelberg nach 2 Jahren aufzugeben und nach Stuttgart zurückzukehren.
"An die Zeit der Studentenbewegung hat Spaemann schlechte Erinnerungen. Jan van der Meulen, Honorarprofessor für Philosophie, hielt damals eine Vorlesung über Marx. Schon in der ersten Vorlesungsstunde verlangten die Wortführer der Studenten Diskussion. Van der Meulen erwiderte: „Wir können nicht jetzt schon diskutieren, nachdem ich ja noch gar nichts vorgetragen habe, was sinnvollerweise Gegenstand einer Diskussion sein könnte.“ Die Vorlesung platzte. Der damalige Institutsvorstand verlangte in einem unfreundlich verfassten Schreiben von van der Meulen, er habe den Studierenden nachzugeben. Dieser beklagte sich darauf bitter über diese ostentative Desolidarisierung durch den Institutsvorstand. Wenige Tage darauf beging er Selbstmord. Gadamer, Henrich und Spaemann waren auf seinem Begräbnis, der Institutsvorstand taktvollerweise nicht.
Die Studenten hatten auch beschlossen, die Vorlesung der Lehrbeauftragten von Beyer zu boykottieren. Darauf stellte das Institut den Antrag, den Lehrauftrag zu streichen, da das Budget zu knapp sei. Spaemann wagte es, die Aufrichtigkeit dieser Begründung in Frage zu stellen. Ein Kollege fuhr ihm darauf über den Mund: So etwas sei eine Unverschämtheit. Spaemann entschuldigte sich darauf und bot an, den Lehrauftrag aus seiner eigenen Tasche zu bezahlen. Dieser musste nun wohl oder übel verlängert werden, wurde aber im darauffolgenden Semester gestrichen. Spaemann hatte nun genug von Heidelberg. Die Desolidarisierung mit Kollegen, die bedrängt wurden, war unerträglich geworden." [Quelle: www.information-philosophie.de]
Im Jahr 1972 erhielt er einen Ruf nach München, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1992 tätig war. In diese Zeit fällt auch sein Aufsatz „Utopie der Herrschaftsfreiheit“, einer Kritik des herrschaftsfreien Diskurses, wie ihn Jürgen Habermas vertrat.
"Ein Schwerpunkt der Münchner Zeit galt der Geschichte und Wiederentdeckung des teleologischen Denkens. Dazu erschien 1981 das Buch „Die Frage Wozu“. Spaemann stellte darin die in der Wissenschaft vertretene Ansicht, man müsse auf teleologische Interpretationen der Wissenschaft verzichten, in Frage." [Quelle: www.information-philosophie.de]
Er wurde außerdem Honorarprofessor an der Universität Salzburg und erhielt 2012 die Ehrendoktorwürde der Katholischen Universität Lublin.
Werk
Die beiden wichtigsten Werke Spaemanns sind "Glück und Wohlwollen" (1989) und "Personen" (1996). In "Glück und Wohlwollen" stellt Spaemann die These auf, dass sich Glück aus wohlwollendem Handeln ergibt und dass wir von Gott als soziale Wesen geschaffen wurden, um einander zu helfen, in einer oft verwirrten und ungeordneten Welt Wahrheit und Sinn zu finden:
"Das Paradigma des Handelns aus Wohlwollen ist jede Handlung, durch die wir dem menschlichen Leben zu Hilfe kommen, das dieser Hilfe bedarf ... nur wenn uns geholfen wird, lernen wir, uns selbst zu helfen, d.h. in jene indirekte Beziehung zu uns selbst einzutreten, die für jede Rationalität konstitutiv ist, die nicht streng instrumentell ist, [und stattdessen] konstitutiv für jede ethische Praxis."
Beachtet wurde sein Engagement in zeitgenössischen Debatten in Gesellschaft und Kirche. Er war Teilnehmer des Ratzinger-Schülerkreises, einer privaten Konferenz mit Joseph Ratzinger, die seit Ende der 1970er Jahre stattfand.
Spaemann äußerte sich wiederholt zu den Themen Tierethik, Sterbehilfe und Medizinethik (insbesondere Embryonenschutz).
Die Menschenwürde kommt der Person nicht unter der Voraussetzung bestimmter Eigenschaften (z. B. des Selbstbewusstseins), sondern allein aufgrund ihrer biologischen Zugehörigkeit zur Spezies Mensch zu. Spaemann weist nach, dass für die Aufklärung ebendiese These, dass „Menschen vor ihrer Geburt Personenrechte“ haben, selbstverständlich gewesen sei.
Er befürchtete auch, dass jegliche Ermöglichung von Sterbehilfe zu einem "Dammbruch" führen könnte. Er wandte sich aber ebenso gegen eine künstliche Lebensverlängerung, die nur durch Aufbietung außerordentlicher Maßnahmen erreicht werden kann. In beiden Fällen würde „der Mensch um den Akt des Sterbens betrogen“.
Religionsdialog
In der Fachzeitschrift Merkur (Zeitschrift für europäisches Denken, Heft 9/10, S. 891–904.) veröffentlichte Spaemann einen Aufsatz, der das das Projekt Weltethos des Tübinger Theologen Hans Küng scharf kritisierte. Spaemann zufolge habe die Geschichte Europas gezeigt, dass sich Menschen und Völker auf Leben und Tod bekämpften, auch nachdem sie längst durch ein gemeinsames Ethos verbunden waren. Unterlassung von Kriegen sei hingegen immer ein Ergebnis interessebedingten Kalküls gewesen. Ein gemeinsames Ethos sei daher kein Garant für den Weltfrieden. Spaemann wandte sich auch gegen die Annahme, Religionsfrieden gebe es nur mit Religionsdialog. Auch hier zeige das geschichtliche Beispiel der Reformation, dass Religionskriege auch als Ergebnis eines sich verschärfenden Religionsdialogs gelesen werden könnten. Religionsdialoge enthielten immer die Gefahr eines Streites, der gar nicht entstanden wäre, wenn man sich nicht darauf eingelassen hätte.
Gottesbeweis mittels Grammatik
Im Jahr 2005 veröffentlichte Spaemann einen Gastbeitrag in der Zeitung "Die Welt" in dem er mit dem Futurum exactum (in der Grammatik eine Zeitform, die kennzeichnet, dass etwas in der Zukunft bereits vollendet sein wird (Futur Perfekt)) für die Existenz Gottes argumentierte. Die Argumentation des Gottesbeweis lautete:
- Das zukünftige Perfekt ist mit der Gegenwart verbunden, denn etwas, das jetzt geschieht, ist gleichbedeutend mit etwas, das in der Zukunft geschehen ist.
- Jede Wahrheit ist in diesem Sinne ewig, weil die Gegenwart immer als Vergangenheit der zukünftigen Gegenwart real bleibt.
- Die Wirklichkeit der Vergangenheit besteht darin, dass sie erinnert wird. Aber irgendwann wird es auf der Erde keine Menschen mehr geben, die sich an sie erinnern.
- Da die Vergangenheit immer die Vergangenheit einer Gegenwart ist, wird sie zusammen mit ihrer Gegenwart verschwinden, wenn die Gegenwart aufhört, erinnert zu werden. Damit verliert auch das zukünftige Perfekt seine Bedeutung.
- Wenn die Gegenwart eines Tages nicht mehr existiert, ist sie gar nicht mehr real. Wenn das zukünftige Perfekt wegfällt, ist auch die Gegenwart weg.
Er schlussfolgert: Um die Realität der Gegenwart zu bewahren, muss es ein absolutes Bewusstsein geben, in dem alles, was geschieht, gespeichert ist. Dieses Bewusstsein ist Gott.
Schriften (Auswahl)
- Die Frage Wozu? Geschichte und Wiederentdeckung des teleologischen Denkens (mit Reinhard Löw), München, Piper-Verlag, 1981
- Das Natürliche und das Vernünftige. Essays zur Anthropologie, 1987
- Glück und Wohlwollen: Versuch über Ethik, Klett-Cotta, Stuttgart, 1989
- Personen, Klett-Cotta, Stuttgart, 1996
- Moralische Grundbegriffe, München, 1999
- Grenzen: Zur ethischen Dimension des Handelns, Klett-Cotta, Stuttgart, 2001
- Ethik – Lehr- und Lesebuch. Texte, Fragen, Antworten (mit Walter Schweidler), Klett-Cotta, Stuttgart, 2006
- Das unsterbliche Gerücht. Die Frage nach Gott und der Aberglaube der Moderne, Klett-Cotta, Stuttgart, 2007
- Der letzte Gottesbeweis (mit Rolf Schönberger), Pattloch, München, 2007
Literatur
- Walter Schweidler: Robert Spaemann (1927–2018). In: Jürgen Aretz, Thomas Brechenmacher, Stefan Mückl (Hrsg.): Zeitgeschichte in Lebensbildern. Katholische Persönlichkeiten des 20. und 21. Jahrhunderts, Band 13. Aschendorff Verlag, Münster 2022, ISBN 978-3-402-26678-6, 197–211.
- Thomas Buchheim, Rolf Schönberger, Walter Schweidler (Hrsg.): Spaemanns Philosophie. Blaue Reihe, Meiner, Hamburg 2024, ISBN 978-3-7873-4584-7.
Siehe auch Spaemann, Robert: Über Gott und die Welt. Eine Autobiographie in Gesprächen. 350 S., Ln., € 24.95, 2012, Klett-Cotta, Stuttgart (archive.org) - Rezension des Buches.