Der Ausdruck analytische Philosophie bezeichnet eine philosophische Bewegung, die sich zunächst auf die neue, zeitgenössische Logik stützte, die aus den Arbeiten von Gottlob Frege und Bertrand Russell Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hervorging, um die großen philosophischen Fragen zu beleuchten.
Dabei wurde auch die (englische) Tradition des Empirismus aufgegriffen (Hauptvertreter: John Locke, George Berkeley und David Hume), die der sinnlichen Wahrnehmung eine zentrale bzw. ausschließliche Rolle in Erkenntnisprozessen einräumen.
Überblick
Der Ansatz (vergleiche: Linguistische Wende) begründete sich auf eine logische Analyse der Sprache, die versucht, die Denkfehler aufzudecken, die diese induzieren kann, und so die präzise Beschreibung der Gedanken zum Ziel der Philosophie macht, wie Ludwig Wittgenstein es in seinem berühmten "Tractatus logico-philosophicus" (1921) formulierte (vergleiche: Wiener Kreis).
Ursprünglich lag der Schwerpunkt vor allem auf der Sprachanalyse und der Analyse der Bedeutung von Konzepten und Wörtern sowie den logischen Beziehungen zwischen ihnen. Die analytische Philosophie betrachtete es zunächst als unabdingbare Voraussetzung für eine Diskussion, denn ohne die Möglichkeit, eindeutige Positionen zu einem bestimmten Thema zu vertreten, könne dieses Thema nicht als zur Philosophie gehörig akzeptiert werden. Einige Hauptvertreter lehnten daher auch alle Fragestellungen der Metaphysik als sinnlos ab.
"Analytische" Philosophie bezeichnet heute eher einen Stil des Philosophierens, nicht ein philosophisches Programm oder eine Reihe von inhaltlichen Ansichten. Analytische Philosophen streben, grob gesagt, nach argumentativer Klarheit und Präzision, bedienen sich uneingeschränkt der Werkzeuge der Logik und identifizieren sich beruflich und intellektuell oft eher mit den Naturwissenschaften und der Mathematik als mit den Geisteswissenschaften.
Innerhalb der klassischen analytischen Philosophie können 2 Traditionen unterschieden werden:
- Die eine verläuft von Frege und Russell über den frühen Wittgenstein und den Wiener Kreis zu Willard Van Orman Quine (1908–2000). Hier wurde „Begriff“ im Sinne von Idee verstanden, und mit der „Analyse“ von Begriffen war deren Zerlegung in ihre Bestandteile gemeint. Das heißt, die jeweils zu analysierenden Begriffe sollten auf grundlegendere Begriffe zurückgeführt und ihre Bedeutung dadurch expliziert werden.
- Die andere Traditionslinie verläuft von G.E. Moore über den späten Wittgenstein und die Philosophie der normalen Sprache zu Peter Strawson (1919–2006). Hier wurde „Begriff“ im Sinne von sprachlicher Ausdruck aufgefasst. Die „Analyse“ von Begriffen sollte in einer genauen Beschreibung ihres alltäglichen Gebrauchs in konkreten Kontexten bestehen. Auch das sollte dazu dienen, deren Bedeutung zu klären.
Die methodischen Vorgaben und inhaltlichen Beschränkungen beider Traditionslinien werden durch Vertreter der analytischen Philosophie selbst bereits seit den 1950er Jahren beispielsweise durch Arbeiten von Quine, Saul Kripke (1940–2022) und Paul Grice (1913–1988) kritisiert und vereinzelt sogar als gescheitert betrachtet.
Beide Traditionslinien eint eine besondere Wertschätzung des klaren, einfachen Wortes sowie der Arbeit am Detail in überprüfbaren Aussagen.
Die anglophone Philosophie des 20. und 21. Jahrhunderts beginnt nach allgemeiner Auffassung mit der Ablehnung des Hegelianismus durch Bertrand Russell und G. E. Moore, die ihn für zu undurchsichtig ("obscure") hielten, bzw. mit der "Revolte gegen den Idealismus" - siehe zum Beispiel Moores Essay "Eine Verteidigung des gesunden Menschenverstands" (1925).
Definition
Die analytische Philosophie ist schwer zu definieren. Daher haben sich die Vertreter der analytischen Philosophie stark darauf gestützt, ihre eigene Ausrichtung mit anderen Arten der Philosophie zu kontrastieren, insbesondere mit philosophischen Ausrichtungen, die als scharfer Gegensatz zu ihren eigenen Aktivitäten wahrgenommen wurden.
So wurde die analytische Philosophie zunächst dem britischen Idealismus gegenübergestellt. Als dies nicht mehr genügte, wurde die Richtung der "traditionellen Philosophie" im weiteren Sinne gegenübergestellt. Später wurde sie der klassischen Phänomenologie, dann dem Existentialismus und schließlich der kontinentalen Philosophie gegenübergestellt. Obwohl der klassische Pragmatismus Ähnlichkeiten mit der analytischen Philosophie aufweist, werden die Pragmatiker als eigenständige Tradition betrachtet.
Die zeitweise inhärente Vorstellung, dass intellektuelle Arbeit sauber zwischen Philosophen und empirischen Wissenschaftlern aufgeteilt werden kann, dass Philosophen eine spezielle Methode ("begriffliche Analyse") haben, mit der sie Probleme lösen können, dass philosophische Probleme im Wesentlichen a priori, vom Sessel aus, lösbar sind - all diese inhaltlichen Verpflichtungen sind dank Willard Van Orman Quine und anderen weitgehend gestorben.
Trotz ihrer deutschen Wurzeln hat sich die analytische Philosophie zur wichtigsten philosophischen Bewegung im englischsprachigen Raum entwickelt und wird manchmal sogar als die Philosophie der anglo-amerikanischen Welt des 20. und 21. Jahrhunderts bezeichnet.
Es ist üblich, die "kontinentale Philosophie" als eine Gegenbewegung zur analytischen Philosophie zu betrachten.
Formalismus & Sprache
Ein Ziel des analytischen Ansatzes war die Klärung philosophischer Probleme durch die Untersuchung und Klärung der Sprache, derer man sich bedient, um sie zu formulieren. Zu den wichtigsten Beiträgen dieser Methode zählen die moderne Logik, die Aufdeckung des Problems von Bedeutung und Denotation bei der Konstruktion von Bedeutung, der Unvollständigkeitssatz von Kurt Gödel, die Theorie der definierten Beschreibungen von Russell, die Theorie der Falsifikation von Karl Popper und die semantische Wahrheitstheorie von Alfred Tarski.
Gottlob Frege beschrieb in seiner Sprachanalyse „Begriffsschrift“ (1879) die Unzulänglichkeiten des Sprachgebrauchs und die Beschaffenheit der sprachlichen Ausdrucksmittel.
Die Sprache gilt als Medium der Gedanken, deren Verwirrungen Frege zum großen Teil an den strukturell bedingten Unklarheiten der natürlichen Sprache festmacht. Anknüpfend an eine Idee von Gottfried Wilhelm Leibniz arbeitete er an dem von Zeitgenossen kaum wahrgenommenen Mammutunternehmen einer von allen Unklarheiten und Verwirrungen befreiten Idealsprache. In dieser sollten sich wissenschaftliche Erkenntnisse – in seinen Arbeiten hauptsächlich jene der Logik und Arithmetik – in größter Klarheit formulieren lassen und zwischen Gesprächspartnern keinerlei Unklarheiten mehr bestehen können.
Auch der frühe Wittgensteins sowie Bertrand Russell und Rudolf Carnap (1891–1970) verfolgten dieses Ziel, das als "Philosophie der idealen Sprache" (Ideal Language Philosophy) bezeichnet wurde. Es wurde versucht, mit Hilfe eines Formalismus (entlehnt aus Logik und Mathematik), eine von allen Unklarheiten bereinigte, in sich konsistente, formale Sprache zu erstellen, in der auch der abbildende Bezug zur außersprachlichen Wirklichkeit eindeutig bestimmbar sein sollte.
Es erwies sich jedoch als unmöglich, eine formale Sprache zu konzipieren, die die gleichen Ausdrucksmöglichkeiten aufwies wie die natürliche Sprache. Es regte sich auch bald prinzipielle Kritik an dem Vorhaben, die darauf verwies, dass die Logik ein grundsätzlich viel zu enges Instrument sei, um die menschliche Sprache (z. B. als sozial Gegebenes) ganz und gar erfassen zu können.
Anknüpfend an G.E. Moore verwarfen zuerst Ludwig Wittgenstein in seinem Spätwerk, den „Philosophischen Untersuchungen“ von 1953, und der britische Philosoph Gilbert Ryle die Idee der Entwicklung einer rein logischen Formalsprache zur Beseitigung der Unklarheiten aus Sprache und Philosophie. Stattdessen propagierten sie die Analyse und kritische Beschreibung der Umgangssprache in ihrem jeweiligen Gebrauch, der Gebrauchssprache (language as use) als erfolgversprechendere philosophische Methode.
Phänomenologie
Ein zeitlich wie inhaltlich gemeinsamer Ursprung von Phänomenologie und Analytischer Philosophie ist die Kritik von Gottlob Frege, Franz Brentano und Edmund Husserl am Psychologismus. Gedanken sind nach Frege nicht zu analysieren mittels der Mechanik einzelner mentaler Operationen, sondern sind zeitunabhängige Objekte, die nicht in Verursachungsbeziehungen eintreten. Auch Bernard Bolzano, der u. a. in diesem Punkt von Husserl und Alexius Meinong rezipiert wurde, unterschied scharf zwischen Ideen bzw. Gedanken an sich selbst (objektiv) und dem subjektiven Bewusstsein von ihnen. Die Logik habe mit ersterem zu tun, während der Psychologismus forderte, sich an letzteres zu halten.
In der Folge entwickeln sich aber beide Ansätze dergestalt auseinander, dass die meisten Vertreter der Phänomenologie die von einigen wichtigen Vertretern analytischer Philosophie vollzogene sprachanalytische Orientierung nicht teilten. Husserls deskriptive Wesenswissenschaft beansprucht dann etwa eine systematische „Analyse“ und „Deskription“ der in den „Richtungen des Schauens sich darbietenden Gegebenheiten“. Dagegen orientierten sich Vertreter normalsprachlicher Philosophie wie der späte Wittgenstein an dem Programm, das Wesen der Gegenstände durch Analyse des Gebrauchs darauf bezogener sprachlicher Ausdrücke („Grammatik“) zu bestimmen. Da sich Husserl ausdrücklich dagegen wandte, sich in der strengen Wissenschaft hin zu den „Sachen selbst“ von der „grammatischen Analyse“ gängeln zu lassen, galten diese Forschungsrichtungen lange Zeit als unvereinbar.
Andere Autoren betonen aber auch die sprachanalytische Orientierung beider Richtungen. So gebe es etwa bei Husserl und Heidegger ebenfalls eine Hinwendung zur Sprache und deren Gebrauch. J. L. Austin spricht 1956/57 von „linguistischer Phänomenologie“. Damit gemeint ist aber vor allem, wie beim späten Wittgenstein, eine „Orientierung am Sprachgebrauch, allerdings mit einem darüber hinausgehenden Realitätsanspruch für Fälle, in denen die Alltagssprache keine Worte findet und dann neue Worte ausbildet“. Insbesondere werden zentrale Themen, Termini und Herangehensweisen der klassischen Phänomenologie seit den 1970er Jahren auch in Teilen der analytischen Philosophie des Geistes (vergleiche Kognitionswissenschaft) aufgegriffen.
Literatur
- Christian Beyer: Husserls Phänomenologie im Kontext analytischer Philosophie und Metaphysik (archive.org)
- Wolfgang Welsch: Hegel und die analytische Philosophie (archive.org)
- Wolfgang Künne: Der Universalienstreit in der neueren analytischen Philosophie (archive.org)
- Albert Newen: Analytische Philosophie zur Einführung. 2. Auflage. Junius, Hamburg 2007, ISBN 978-3-88506-611-8.
- Peter Prechtl: Grundbegriffe der analytischen Philosophie. Mit einer Einleitung (PDF; 162 kB) von Ansgar Beckermann, Sammlung Metzler, Stuttgart 2004, ISBN 3-476-10345-5.
- Hans-Johann Glock: What is analytic philosophy? Cambridge University Press, Cambridge 2008, ISBN 978-0-521-69426-1 (deutsch: Was ist analytische Philosophie? Übersetzt von Erich Ammereller. WBG, Darmstadt 2014, ISBN 978-3-534-25496-5).