Die Menschenwürde ( lat. dignitas hominis ) ist eine der Grundfragen der philosophischen Anthropologie, und die Art und Weise, wie dieser Begriff verstanden wird, hat erheblichen Einfluss auf die Lösung spezifischer ethischer Probleme.
Rechtsordnung
Obwohl die Idee der Person schon lange existierte, erfolgte die rechtliche Anerkennung der Würde des Menschen erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Verabschiedung der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" im Jahr 1948.
Sie ist in dem Grundsatz zusammengefasst, dass jeder Mensch das Recht auf Menschenwürde hat. In Artikel 1 heißt es: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“
Anschließend wurde das Konzept der Menschenwürde in den beiden internationalen Menschenrechtspakten von 1966 und in den meisten Instrumenten aufgegriffen, die eine Reihe von Praktiken oder Vorgehensweisen verurteilen, die dem wesentlichen Wert der Person direkt zuwiderlaufen, wie etwa Folter, Sklaverei, erniedrigende Strafen, unmenschliche Arbeitsbedingungen, Diskriminierung aller Art usw. Heute ist der Begriff der Menschenwürde in Fragen der Bioethik von besonderer Bedeutung.
Auch zahlreiche staatliche Verfassungen, insbesondere die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verabschiedeten, verweisen ausdrücklich auf die Achtung der Menschenwürde als Grundlage der aufgeführten Rechte und als wesentliches Ziel des Rechtsstaates.
In dieser Hinsicht sticht das deutsche Grundgesetz von 1949 hervor, das als Reaktion auf die während des Naziregimes begangenen Gräueltaten in Artikel 1 festlegt:"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung der staatlichen Gewalt."
Der Verfasser des bis vor kurzem maßgeblichen Kommentars zu Artikel 1 des Grundgesetzes, der Staatsrechtsprofessor Günter Dürig (1920 - 1996), schreibt:
„Die normative Aussage des objektiven Verfassungsrechts, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, beinhaltet eine Wertaussage, der ihrerseits aber eine Aussage über eine Seinsgegebenheit zugrunde liegt. Diese Seinsgegebenheit, die unabhängig von Zeit und Raum ‚ist’ und rechtlich verwirklicht werden ‚soll’, besteht in folgendem: Jeder Mensch ist Mensch kraft seines Geistes, der ihn abhebt von der unpersönlichen Natur und ihn aus eigener Entscheidung dazu befähigt, seiner selbst bewußt zu werden, sich selbst zu bestimmen und sich und die Umwelt zu gestalten.“ (Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, in: Archiv des öffentlichen Rechts, 81, 1956, S. 117-157)
Christentum
Die Idee der Menschenwürde ist u.a. im Christentum zentral. Der Mensch, der sich selbst als „nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen“ betrachtet, sieht sich als freies Subjekt und daher verantwortlich für sein Handeln.
Die Begriffe Freiheit und Verantwortung scheinen untrennbar mit dem Begriff der Würde verbunden zu sein.
Da die Begriffe Schuld, Sünde, Sühne und Vergebung für die christliche Theologie von zentraler Bedeutung sind und Schuld ohne Entscheidungsfreiheit nicht existieren kann, sind auch Freiheit und Würde zentrale Begriffe im Christentum.
Vor dem Christentum gab es die Idee der Freiheit und der Würde ähnliche Begriffe wie Ehre, aber letztere waren an bestimmte soziale Bedingungen und nicht an jeden Menschen gebunden.
"Wie schon bei Cicero wird dabei die Stellung des Menschen in Anlehnung an den Rang weltlicher Würdenträger charakterisiert, was dann in der Patristik dazu geführt hat, die stoische Redeweise zu übernehmen und von der durch Gott verliehenen Würde des Menschen zu sprechen. Dieses Verständnis der Menschenwürde zieht sich durch die Geschichte der christlichen Theologie bis heute. Es erklärt unter anderem, warum es den beteiligten christlichen Politikern und Juristen so leicht gefallen ist, einer Erwähnung der Menschenwürde im Art. 1 GG wie auch in den entsprechenden UN-Dokumenten zuzustimmen." Quelle: Ralf Stoecker: "Die philosophischen Schwierigkeiten mit der Menschenwürde – und wie sie sich vielleicht lösen lassen".
Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 - 1965) ist die Menschenwürde zur Grundlage des katholischen Kirchenrechts geworden. Die Quelle der Menschenwürde ist, dass Gott den Menschen „nach seinem Bilde“ geschaffen hat (Gen 1,27), dass er alle Menschen liebt (vgl. Apg 10,34-35; Joh 1,9; Mt 5,45) und dass alle Menschen durch das Leiden, den Tod und die Auferstehung Christi erlöst worden sind (vgl. Offb 5,9-10; 1 Tim 4,10; Kol 3,11-14).
Die Quelle des Gesetzes ist im Menschen zu finden, denn Gott hat dem Menschen den Begriff der Gerechtigkeit gegeben. Der Grundsatz der Menschenwürde wird in der Erklärung "Dignitatis humanae" hervorgehoben. Sie bekräftigt das Recht des Menschen auf Religionsfreiheit, denn der Glaube ist ein freier innerer Akt, der nicht erzwungen werden kann und darf.
Geschichte
Die griechische Antike (Vorsokratiker, Platon, Aristoteles) kennt den Begriff der Menschenwürde nicht.
Auch aus der Nikomachischen Ethik lässt sich außer in der Erörterung der 2 Typen der Gerechtigkeit nur schwer ein Begriff der Menschenwürde herauslesen.
Der römische Philosoph Cicero betrachtete die Würde als etwas, das den römischen Bürger von Fremden und Sklaven unterschied.
"In seiner Schrift "De officiis" (Über die Pflichten), erläutert Cicero die Verpflichtungen des Menschen, die sich aus den 4 verschiedenen personae, Rollen, ergeben, die jeder Mensch in seinem Leben innehat: erstens der Rolle, die ihm seine Herkunft verschafft hat, zweitens der Rolle, die zur körperlichen Ausstattung, den Talenten und Anlagen passt, drittens der Rolle, die sich jeder selbst im Leben wählt, und schließlich viertens der Rolle, die einfach darin besteht, dass man ein Mensch und kein Tier ist, also Vernunft hat und die Möglichkeit zur Einsicht in das Gute und Richtige. Für die mit einer Rolle verbundenen Verpflichtungen, insbesondere auch als Mensch im Unterschied zum Tier, verwendet Cicero wiederholt das lateinische Wort dignitas. Nur wer sich seiner Rolle angemessen benimmt, benimmt sich würdig. Für die spezielle Würde als Mensch bedeutet das Cicero zufolge: Man muss sich vernünftig verhalten, und das heißt für Cicero: man sollte jede körperliche Lust verachten und stattdessen ein »maßvolles, beherrschtes, strenges und nüchternes Leben« führen." Quelle: Ralf Stoecker: "Die philosophischen Schwierigkeiten mit der Menschenwürde – und wie sie sich vielleicht lösen lassen"
Im Mittelalter argumentierte Thomas von Aquin, dass Würde die Unterscheidung zwischen Mensch und Tier sei.
Im 18. Jahrhundert argumentierte der Philosoph Immanuel Kant, dass Würde ein anderer Name für Vernunft, Anstand und kontrollierte Leidenschaft sei. Er schreibt insbesondere in seinem Buch „Grundlagen der Metaphysik und Ethik“, in dem er die Auffassung vertritt, dass die Menschenwürde nicht einfach aus der Menschlichkeit erwächst, sondern aus der Ausübung des freien Willens im Rahmen der Verpflichtung zur Moral. Kant glaubt, dass Moralität auf Handlungen beruht, die auf der Unabhängigkeit des Willens beruhen, und dass daher Selbstbestimmung und Autonomie die Grundlage der Menschenwürde bilden.
Bei all diesen Definitionen geht es im Wesentlichen um Pflichten: Ein anständiger Mensch muss sich mit Würde verhalten.
Ein Anstoß zur Definition der Menschenwürde als Prinzip universeller Werte (nicht Pflichten) ging vom Denker des 15. Jahrhunderts Giovanni Pico della Mirandola aus. In seiner Oratio "de hominis dignitate" (Abhandlung über die Würde des Menschen) befürwortete er die Versöhnung zwischen klassischer Philosophie, Christentum und östlichen Traditionen. In seiner Diktion sind sowohl Spuren der Antike als auch des Denkens des Mittelalters zu erkennen. In seiner Rede betonte er den menschlichen Wert jedes Einzelnen und stellte die menschliche Individualität stärker heraus als zuvor. Das Mittelalter hatte den Menschen als eine in die Gemeinschaft der Stände und der Kirche eingebundene Person begriffen. Pico betont, dass der Mensch im Mittelpunkt der Wirklichkeit steht, indem er „der Vertraute der himmlischen Wesen und der König der niederen Wesen (das heißt der Tiere und Pflanzen)“ ist.
Der Humanismus begann, den Begriff der Würde mit rationalen Argumenten philosophisch zu erklären. Er gründete die Idee der Würde auf dem Naturrecht. Auf diese Weise nimmt eine Idee, die einen religiösen Ursprung hatte, einen zentralen Platz im universellen Denken ein.
Literatur
- Ralf Stoecker: Die philosophischen Schwierigkeiten mit der Menschenwürde – und wie sie sich vielleicht lösen lassen (archive.org)
- Christoph Horn: Ethik: Die verletzbare und die unverletzbare Würde des Menschen – eine Klärung (archive.org)