Richard David Precht (* 1964) ist ein deutscher Philosoph und Autor erfolgreicher populärwissenschaftlicher Bücher über philosophische Themen.
Er war von 2011 bis Oktober 2023 Honorarprofessor für Philosophie an der Leuphana Universität Lüneburg und ist Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin.
Seit dem großen Erfolg mit "Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?" (2007) wurden Prechts Bücher zu philosophischen oder gesellschaftspolitischen Themen zu Bestsellern.
Leben
Richard David Precht wurde am 8. Dezember 1964 in Solingen geboren und sit dort aufgewachsen. Sein Vater, Hans-Jürgen Precht, wurde 1933 in Hannover geboren, seine Mutter 1938 in Neuhof bei Berlin.
Nach dem Abitur am Gymnasium Schwertstraße in Solingen leistete Precht seinen Zivildienst als Gemeindehelfer ab. Später studierte er Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte an der Universität zu Köln.
Im Jahr 1994 promovierte er zum Dr. phil. in Germanistik.
Die Dissertation von Precht "Die gleitende Logik der Seele. Ästhetische Selbstreflexivität in Robert Musils 'Der Mann ohne Eigenschaften'" ist eine phänomenologische Analyse der Wirkungsstrukturen in Musils Buch.
Von 1991 bis 1995 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem kognitionswissenschaftlichen Forschungsprojekt.
Im Jahr 1997 war Precht "Arthur F. Burns Fellow" bei der Chicago Tribune. Zwei Jahre später erhielt Precht das Heinz-Kühn-Stipendium. Im Jahr 2000/01 war er Fellow am "European College of Journalism", und 2001 wurde er für Journalismus im Bereich der biomedizinischen Studien ausgezeichnet.
Als Essayist hat Precht für deutsche Zeitungen und Zeitschriften geschrieben. Von 2002 bis 2004 war er Kolumnist der Zeitschrift "Literaturen", einem anspruchsvollen intellektuellen Literaturmagazin, und von 2005 bis 2008 war er freier Moderator von "Tageszeichen" (ehemals Kritisches Tagebuch), einer Sendung des WDR.
Das ZDF strahlt seit 2012 unter dem Titel "Precht" eine Talkshow mit Gesprächspartnern aus Politik und Gesellschaft aus. Die Sendung erscheint 6x im Jahr mit einer Länge von 45 Minuten. Die Ausstrahlung erfolgt sonntagabends zwischen 23:30 Uhr und Mitternacht. Regie führt Gero von Boehm.
Seit 2021 ist er im ZDF-Podcast "Lanz & Precht" mit Markus Lanz zu hören, der im Juni 2023 zu den am meisten gehörten deutschsprachigen Podcasts zählte.
Seine Ehe mit der luxemburgischen Fernsehmoderatorin und stellvertretenden Chefredakteurin von RTL Télé Lëtzebuerg, Caroline Mart, wurde geschieden. Precht lebt in Düsseldorf und aus einer früheren Beziehung entstammt ein Sohn.
Werk
Romane
Precht schrieb mit seinem Bruder Georg Jonathan den detektivischen Bildungsroman "Das Schiff im Noor" (1999). Das Buch spielt im Jahr 1985 auf einer fiktionalisierten dänischen Insel.
Der Roman "Die Kosmonauten" (2002) erzählt die Liebesgeschichte und Identitätsfindung der Endzwanziger Georg und Rosalie, die sich in Köln kennengelernt haben und kurz darauf in das Berlin der Nachwendezeit 1990/91 zusammengezogen sind.
Im Jahr 2004 nahm Precht am Wettbewerb zum Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt mit dem Text "Baader braun" teil.
In seinem autobiografischen Buch "Lenin kam nur bis Lüdenscheid – Meine kleine deutsche Revolution" erinnert sich Precht aus Kinderperspektive an seine Kindheit in Solingen, als er in den 1970er-Jahren in einer politisch links von der SPD stehenden Familie aufwuchs.
Philosophie
In dem Sachbuch "Noahs Erbe" befasst sich Precht mit Fragen zur Tierethik und deren gesellschaftlichen Konsequenzen.
Seine allgemeinverständliche Einführung zu philosophische Fragen, "Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?" (2007) stand viele Jahre auf der Sachbuch-Bestsellerliste des Spiegels.
Das Buch "Die Kunst, kein Egoist zu sein" (2007) beleuchtet Aspekte der Moral. Die Bereitschaft zu persönlicher Verantwortungsübernahme sieht Precht in der modernen Gesellschaft durch die Pluralität der Rollen, in denen das Individuum agiert, geschwächt.
"Warum gibt es alles und nicht nichts?" (2011) richtet sich als philosophische Einführung an Kinder und Jugendliche. Der Vater inszeniert bei Spaziergängen durch Berlin ein Frage-und-Antwort-Spiel mit seinem Sohn - Sokrates ick hör dir trapsen ;-).
"Erkenne die Welt" (2015) ist der erste Band einer auf vier Bände angelegten abendländischen Philosophiegeschichte. Der Autor will das ideengeschichtliche Verständnis der Leserschaft durch Hinweise auf die jeweilige zeitgenössische Politik, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte fördern.
Positionen
Precht ist ein Verfechter einer neuen Zivilgesellschaft. Philosophisch steht er dem amerikanischen Kommunitarismus nahe, der Idee einer Demokratisierung der Gesellschaft mit einem höheren zivilen Gemeinschaftssinn. Den Zwang von Wirtschaft und Politik zu ständigem Wirtschaftswachstum hält er für schädlich. Er spricht sich für ein Grundeinkommen aus. In der Debatte um die Thesen von Thilo Sarrazin sieht Precht die Vorwürfe gegenüber den Migranten als Ablenkung von der grundsätzlicheren Frage nach der Verteilung, der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich und der Etablierung moralisch-distanzierter Einstellungen in der Ober- und Unterschicht. Precht ist ein scharfer Kritiker des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. Er ist auch ein scharfer Kritiker des Schulsystems in Deutschland.
Während des russischen Einmarsches in der Ukraine wurde Precht für seine Positionen kritisiert. Vor allem in den ersten Tagen des Einmarsches Anfang März 2022 hatte er mehrfach geäußert, dass die Ukraine den Krieg nicht gewinnen könne und trotz des Rechts auf Selbstverteidigung die Weisheit haben sollte, zu wissen, wann sie sich ergeben müsse.
Medienlandschaft
Precht interviewte in seiner Sendung den Youtuber Rezo (Die Zerstörung der CDU", "Die Zerstörung der Medien"). Dieser Influencer spricht vor einem Millionenpublikum im Internet über Themen, die junge Leute bewegen. Er erzielt damit oft deutlich mehr Reichweite als klassischen Medien.
Auszüge aus einem Gespräch (16.9.2020) zwischen Precht und Eric Leimann von der Bremer Zeitung "Weserkurier":
teleschau: Sie haben mit Rezo über alte und neue Medien gesprochen. Was war Ihr wichtigster Erkenntnisgewinn aus der Unterhaltung?
Precht: Er kam gleich am Anfang. Rezo ist nicht der Meinung, dass die neuen die alten Medien ablösen, sondern ergänzen werden. Der Trend der letzten Jahre, dass die neuen Medien den alten immer mehr Bedeutung abnehmen, wird sich nicht unbegrenzt weiter fortsetzen, sagt er. Er glaubt, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen erhalten bleibt, auch die großen Zeitungen. Mich hat seine Einschätzung überrascht ...
teleschau: Was glauben Sie denn?
Precht: Ich hoffe und denke ebenfalls, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen bleiben wird. Ob es in zehn oder zwanzig Jahren noch aus so vielen Sendern besteht, ist eine andere Frage. Was die großen Zeitungen betrifft, die überleben nicht als Zeitungen, sondern als mediale Gemischtwarenläden. In ihrer Deutungsmacht als Zeitungen werden sie jedoch weiter an Boden verlieren. Das ist eine Entwicklung, die wir seit mindestens zehn Jahren beobachten.
teleschau: Wann, schätzen Sie, wird das lineare Fernsehen abgestellt?
Precht: Ich bin weder Prophet noch Kenner der Szene, aber ich glaube, dass es uns noch einige Jahre erhalten bleibt. Die Anzahl der Menschen, die das lineare Fernsehen schätzt, ist größer als viele Leute denken. Bei Umfragen mit Menschen über 55 oder 60 Jahren könnte es sogar die Mehrheit sein. Und die hat sicher vor, noch 20 oder 30 Jahre zu leben.
teleschau: Aber es schauen dann nur noch die Alten „live“ zu?
Precht: Die Zuschauerzahlen des linearen Fernsehens werden stetig weiter sinken, da müssen wir uns nichts vormachen. Trotzdem wird es uns noch lange erhalten bleiben. Mit weniger Zuschauern, aber eben auch dem politisch-gesellschaftlichen Willen, das Medium in dieser Form zu erhalten. Ich sehe keinen Widerspruch. Warum soll es dieses Angebot mit deutlich geringerer Reichweite nicht trotzdem weiter geben? Die Mediatheken kann man ja zusätzlich mit den Angeboten füttern.
teleschau: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist immer mehr zu einem Rede- und Diskussionsplatz geworden. Stichwort: Talkshow-Flut. Sie nehmen, wenn auch auf sehr distinguierte Weise, ebenfalls daran teil. Heißt mehr Dialog im TV auch mehr Erkenntnis?
Precht: Also, ich sehe meine Sendung nicht als Talkshow, sondern als Gesprächsformat. Grundsätzlich sagt die übertragene Redezeit im Fernsehen nichts über die Tiefe der Erkenntnis aus. Dass man jedoch einen Ort hat, an dem man 45 Minuten lang über eine einzige Frage diskutieren kann, die in den Nachrichten oder in Talkshows so überhaupt nicht vorkommt, kann schon zum Erkenntnisgewinn beitragen. Zumindest hoffe ich das für meine Sendung.
teleschau: Gibt es eine Art Gast, den Sie grundsätzlich schwierig finden?
Precht: Politiker sind immer schwieriger, weil sie meist keine wirklich echten Gespräche mögen. Sie wissen, dass jedes ihrer Worte auf die Goldwaage gelegt und interpretiert wird. Außerdem ist es bei Politikern so, dass sie viele Sätze schon sehr oft gesagt haben, was einen echten Dialog schwierig macht. Am liebsten rede ich mit Leuten, die irgendeine These oder eine Ansicht haben, für die sie brennen - und die man dann in aller Ruhe abklopfen kann. Dabei kommt meist ein gutes Gespräch heraus.
teleschau: Welchen Stellenwert hat die Philosophie im heutigen Alltagsleben der Deutschen?
Precht: Sie ist heute wieder sehr viel öffentlichkeitswirksamer repräsentiert als vor zehn Jahren. Die Anzahl gerade jüngerer Philosophen, die die Öffentlichkeit suchen, hat stark zugenommen. Lange war es so, dass man sich als Philosoph in der Fachwelt unbeliebt machte, sobald man die Öffentlichkeit suchte. Diesen Preis musste man zahlen und muss es zum Teil immer noch. Wir reden jedoch über Deutschland, das Problem gibt es in Frankreich oder in England überhaupt nicht. Es ist ein sehr deutsches Phänomen - und das war auch mal anders. In den Zeiten von Horkheimer, Adorno, Marcuse, Bloch, Mitscherlich oder Habermas, der ja noch lebt, hatten öffentliche Denker, ob sie nun Philosophie, Soziologie oder etwas anderes als offizielle Disziplin pflegten, ein selbstverständliches Gewicht in der Gesellschaft.
teleschau: Kommen wir noch einmal zum Gespräch mit Rezo zurück. Er fordert eine Schulbildung in Sachen menschliche Wahrnehmung. Er spricht von systematischen Verzerrungen, mit denen fast alle Menschen Dinge auf falsche Art und Weise verstehen. Hat so etwas auch für Sie oberste Priorität?
Precht: Ja, das finde ich gut. Ich habe das Bildungssystem ja häufig kritisiert. Das Wichtigste, das man können sollte, wenn man eine Schule verlässt, ist Selbstmanagement. Man sollte eine sehr realistische Einschätzung von sich und der Welt gewinnen - und sich gut in ihr zurechtfinden. Darin betrachte ich das höchste Ziel der Schule. Ob man dann noch Sätze aus dem Werther auswendig kann, ist zweitrangig. Die Kinder kommen in eine immer komplexere Welt. Orientierung muss dringend trainiert werden.
teleschau: Wie kann man Orientierung trainieren?
Precht: Das reicht von Meditation über Konzentrationstraining bis hin zur Beherrschung, was Rezo meinte, der eigenen Psychologie. Wenn wir wissen, welchen Irrtümern und Fehlwahrnehmungen wir unterliegen, haben wir tatsächlich schon mal ein paar Gefahren des Lebens umschifft. Auch philosophische Skills helfen dabei, sich in der Welt besser zurechtzufinden. Von all diesen Fähigkeiten hängt es ab, ob man ein erfülltes Leben hat. Leider sehe ich fast nichts davon in den aktuellen Lehrplänen.